Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
gesagt, das wäre nicht gut für mich.« Frafa schaute zu Boden. Warum klang das alles so dumm, wenn sie es Meister Aldungan erzählte?
»Heutzutage gibt es Alben, die Magie fürchten?«, fragte er. »Kein Wunder …«
Er nickte Frafa zu, und sie folgte ihm zwischen die Bäume. Dabei schüttelte sie den Korb. Balgir lag darin. Auf der einen Seite lugte sein Kopf über den Rand, auf der anderen hing sein Schwanz heraus und schleifte fast über den Boden. Er räumte seinen Platz nur widerstrebend und ließ sich von Frafa herausheben.
Nach wenigen Schritten verschwand die Treppe aus dem Blick. Das dichte Gestrüpp ließ den Dachgarten viel größer erscheinen, weil man seine Begrenzungen nicht sehen konnte, und weil es länger dauerte, sich einen Weg zu bahnen.
Seit Monaten hatte es in Daugazburg nicht mehr geregnet. Frafa wunderte sich, wie dieses Grün so schnell wachsen konnte. In den letzten Tagen war das Leben auf dem ausgebrannten Dach von Aldungans Turm so gewuchert, dass es jedem zufälligen Beobachter auf der Straße oder in der Nachbarschaft hätte auffallen müssen. Welchen Sinn hatte es, dass sie sich verborgen hielten, wo doch die Turmkrone ein so deutliches Zeichen an die ganze Stadt sandte?
Dennoch waren sie bislang unbehelligt geblieben.
Frafa schritt hinter Aldungan her und sah sich um. Viele der Pflanzen waren ihr gänzlich unbekannt, obwohl sie die Lehre des Lebens schon so lange studierte. Einige davon wirkten der Form nach vertraut, aber sie waren auf eine schwer zu durchschauende Weise verzerrt. Frafa blinzelte. Die Blätter kamen ihr zu lang vor oder eigentümlich gebogen. Äste und Stämme wuchsen in seltsam verdrehten Formen, die fast unnatürlich wirkten. Auch die Farben waren anders. Das Grün spielte ins Violette, und das verlieh dem Licht zwischen den Bäumen eine eigentümliche Aura.
Auf ihrem kurzen Spaziergang hatte Frafa einen Korb mit Früchten und Pilzen, mit Nüssen und Schoten gefüllt. Aldungan führte sie die Treppe hinab und in einen Salon. Zum Glück hatte Salvan ihnen einige Möbel gelassen. Frafa fragte sich, was aus ihm geworden war. Ob sein Zorn auf sie inzwischen verraucht war, oder ob sie ihn fürchten musste.
Frafa deckte den Tisch, und sie setzten sich. Aldungan wirkte abwesend und in sich gekehrt wie immer. Die gemeinsamen Mahlzeiten schienen für ihn kaum mehr zu sein als ein Ritual. Frafa fragte sich, ob er auf dem Dachgarten von seinen Früchten aß oder ob er sich von reiner Magie nährte.
»Meister Aldungan«, sagte sie. »Was wollt Ihr tun?«
»Nichts«, erwiderte Aldungan. »Noch ist die Zeit nicht reif.«
»Aber wir sitzen allein hier im Turm! Wie bekommen wir mit, wann die Zeit reif ist?«
»Hab Vertrauen, Frafa«, sagte Aldungan. »Meine Boten fliegen in der ganzen Stadt und darüber hinaus. Glaubst du, ich muss mit meinen Nachbarn reden, um zu wissen, wie die Sache steht? Im rechten Augenblick werden wir vor diesen Rat treten, ganz so, wie du mich gebeten hast. Aber der richtige Zeitpunkt ist entscheidend. Er bestimmt, wie die Dinge sich entwickeln.«
Im Morgengrauen brachte Darnamur Wito zum Ratssaal. Er hatte darauf bestanden, dass sein alter Hauptmann sich erst einmal erholte, ein wenig aß, sich wusch und sich ordentlich ankleidete.
»Ich würde dir gern mehr Ruhe gönnen«, sagte er. »Aber ich habe keine Zeit. Die Bitaner sind nur noch wenige Tagesmärsche von der Stadt entfernt, und da ist niemand, der sie aufhalten könnte.«
Wito lächelte müde. »Daran kann ich wohl auch nichts ändern. Ob du mir deinen Rat nun heute vorstellst oder morgen.«
»Nein«, erwiderte Darnamur. »Darum kümmere ich mich schon. Ich kann die Bitaner aufhalten, aber ich kann nicht an zwei Orten zugleich sein. Ich brauche also jemanden, der mir in der Stadt den Rücken freihält. Und du warst schon immer mehr der politische Gnom als ich.«
»Wie willst du allein ein Heer aufhalten, das unsere besten Truppen aufgerieben hat?«
Darnamur legte einen Finger auf die Lippen und grinste. »Du wirst schon sehen. Wenn mir ein richtiger, ein greifbarer Gegner gegenübersteht, dann finde ich auch seine empfindliche Stelle.«
Wito schüttelte den Kopf. »Darauf können wir uns nicht verlassen. Wir brauchen ein ordentliches Heer gegen die Bitaner. Wenn uns das fehlt, müssen wir vielleicht sogar die Stadt räumen und uns in die Berge zurückziehen. Dort können wir jahrelang durchhalten.«
»Wir müssten die Berge erst einmal erreichen«, entgegnete Darnamur. »Und
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