Der Tag ist dein Freund, die Nacht dein Feind (German Edition)
erwachen.
„Emily, es tut mir so leid. Es tut mir unendlich leid, deiner Familie und dir so viel Kummer bereitet zu haben. Ich war all die Jahre… Jahrhunderte davon überzeugt, dass dein Urahn uns mit voller Absicht auslöschen wollte. Dass er meine Frau und meine Tochter ermordet hat. Jetzt weiß ich, dass das nicht so war und dass ich der E inzige bin, der tatsächlich skrupellos eine Familie ausgelöscht hat. Ich weiß, dass keine Entschuldigung dafür ausreicht, aber ich hoffe, dass du mir irgendwann verzeihen kannst.“
Emily nickte widerwillig . Zu Roys und ihrem eigenen Erstaunen entzog sie ihm ihren Arm nicht, sondern setzte sich ruhig und ließ die Berührung zu , während er neben ihr in die Hocke ging . Sie mochte ihn schon zu sehr , wie sie plötzlich erkannte . Und auch wenn er erst jetzt selbst erzählt hatte, was er getan hatte, so war ihr die Tatsache an sich doch schon lange bekannt, und dass er sie hier aufgenommen und vor der VHA gerettet hatte, war Grund genug für Emily, ihm wenigstens ansatzweise dankbar zu sein. Ihr schwirrte der Kopf. Die Gefühle, die seine Berührung in ihr auslösten, und die sie nicht zulassen wollte, die Dankbarkeit, noch zu leben, und die Angst vor dem, was er einst gewesen und vielleicht noch heute war, hielten sich die Waage. Ein Teil von ihr wollte ihm bedingungsloses Vertrauen entgegen bringen, ein anderer Teil wehrte sich mit jeder Faser ihres Körpers dagegen und hätte ihn am liebsten ins Gesicht geschlagen . Ihre innere Zerrissenheit begann, sie mürbe zu machen. Erschöpft rieb sie sich übers Gesicht.
„Ich denke, wir sind dann jetzt quitt. Mein Verwandter hat deine Familie ausgelöscht und du meine, und jedem tut es leid. Ich will nie wieder darüber sprechen.“
Roy nickte und spürte, wie ein Kloß in seinem Bauch zu schmelzen begann, eine uralte Last, derer er sich nicht einmal mehr bewusst gewesen war. Diese junge Frau hatte ihm den Frieden gebracht, nach dem er all die Jahre gesucht hatte. Vergebung, die ihm bis zu diesem Moment unwichtig erschienen war. Die Erkenntnis schoss ihm plötzlich in die Lenden, und seine Augen begannen, tiefrot zu glühen.
Als Emily das sah, räusperte sie sich leicht verlegen. Roy setzte sich peinlich berührt zurück in seinen Sessel. Lange schwiegen sie einander an, jeder in seine Gedanken versunken. Roy stellte sich vor, wie es sein mochte, diese Frau an seiner Seite zu haben, als Teil seines Volkes. Sie verfügte bereits als Mensch über die Gabe, Gedanken zu lesen. Nicht auszudenken, was für Fähigkeiten sie erwerben würde, wenn sie zu seiner Welt gehörte . Zusammen wären sie unschlagbar und mächtiger, als er es alleine je sein würde. Nachdem sie nun quitt waren, war dies nicht die Gelegenheit, sie vor die Wahl zu stellen?
Er dachte nicht lange darüber nach. Roy wollte sie. Er wollte sie an seiner Seite haben, diese Frau, die ihm seinen Frieden gegeben hatte und ihn allein durch ihre bloße Anwesenheit zutiefst verwirrte .
„Emily, hast du schon mal darüber nachgedacht, wie es wäre, eine Vampirfrau zu sein?“
Verblüfft sah sie den Mann an, der ihr im warmen Schein des Feuers gegenüber saß.
„Wie bitte?“
Roy beugte sich nach vorn und stütze sich auf seinen Knien ab . „Ich meine, seit wir uns kennen, seit du von unserer Welt weißt. Hast du je darüber nachgedacht, wie es wäre, unsterblich zu sein, ausgestattet mit wunderbaren Kräften?“
„Nein. Warum sollte ich?“
„Deine telepatischen Fähigkeiten wären immens. Vielleicht könntest du auch Gegenstände bewegen, nur durch die Kraft deiner Gedanken.“
„Wozu sollte das gut sein?“ Emily hatte noch nicht erfasst, worauf Roy hinaus wollte.
„Du könntest Kinder bekommen und sie nicht nur aufwachsen sehen, sondern mit ihnen und ihren Nachkommen zusammen leben. Du hättest endlich eine richtige Familie.“
Emily sah den Vampir abschätzend an. Jetzt dämmerte ihr , dass hier etwas vor sich ging und dass er etwas beabsichtigte. Aber sie wagte den Gedanken noch nicht zu denken, der dahinter steckte.
„Ich kann auch so Kinder bekommen. Ich suche mir in New York einen netten Mann, bekomme einen Haufen Kinder und Enkelkinder und habe dann auch eine richtige Familie. Mit dem Unterschied, dass ich nicht auf Steak, Tortellini und chinesisches Essen verzichten muss und mir, so oft ich möchte, den Sonnenaufgang ansehen kann.“
Roy gab noch nicht auf. Außerdem machte ihn der Gedanke plötzlich ungemein eifersüchtig, dass sie ihr
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