Der Talisman (German Edition)
dachte über die merkwürdigen Todesfälle nach. Da kam Valo ganz aufgeregt angerannt. Schluchzend rief er Yasha schon von weitem zu: »Du musst sofort fliehen! Der Medizinmann, der böse Medizinmann! Er hat dem Häuptling gesagt, dass du schuld am Tod der Dorfbewohner bist. Der Medizinmann will deine Heilkräfte haben! Und wenn er dich nicht ganz für sich bekommt, werden alle im Dorf von ›Taila-Taila‹ befallen. Das ist ein böser, starker Zauber. Der Häuptling hat aus Angst vor dem Taila-Taila-Zauber zugestimmt … Oh! Schnell! Sie sind schon unterwegs, um dich zu holen!« Yasha hatte die Situation sofort verstanden. Doch für eine Flucht war es bereits zu spät, denn die vier Fächerjünglinge schnitten ihm den Weg ab. »Oh Talisman, so hilf doch!«, rief Yasha verzweifelt. Doch der Talisman reagierte nicht. Die Fächerträger warfen Yasha grob auf die Sänfte. Dann trugen sie Yasha im strömenden Regen durchs Dorf. Trommeln ertönten und die Menschen liefen zum Platz, an dem sie ihrem steinernen Gott huldigten. Hier brannte ein großes Feuer. In dem riesigen Kessel, der darüber hing, brodelte es schon höllisch. »Oh Gott!«, schrie Yasha entsetzt. Sie wollten ihn lebendig kochen.
Plötzlich
bemerkte Yasha
in der Menge den Riesen, der aufgeregt mit dem Häuptling verhandelte. Doch bevor er Hoffnung schöpfen konnte, stand der Medizinmann vor ihm. Mit eiskaltem Blick hob er eine Schale, nahm einen Schluck und spuckte Yasha eine scharfe Flüssigkeit ins Gesicht. Tränen schossen ihm in die Augen. Es brannte wie die Hölle. Verschwommen registrierte er, dass die Schale ein menschlicher Schädel war. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Yasha wurde zu Boden gestoßen. Wie aus dem Nichts war Valo aufgetaucht und stand nun dicht vor dem Medizinmann. Beide musterten sich mit zornigen Blicken. Mit dunkler Stimme donnerte Valo: »Medizinmann, nimm ihm den Talisman ab! Wirf ihn ins Feuer. Ich befehle es!« Die Liaweps starrten erschrocken auf den Medizinmann und den völlig veränderten weißen Sklavenjungen, um den ein Schwarm schwarzer Schmetterlinge schwirrte. Niemand achtete mehr auf Yasha. Halbblind kroch er auf die Steinskulptur zu. Hinter sich hörte er die entsetzten Schreie der Liaweps. Als er die Steinskulptur mit dem Talisman berührte, erhellte ein Blitz den Opferplatz. Für einen kurzen Moment sah Yasha, wie sich das steinerne Gesicht seines Vaters langsam zurückverwandelte. »Wir werden immer über dich wachen!«, hatte sein Vater gesagt. Und jetzt war er so nah. »Vater!«, schrie Yasha, da packten ihn zwei riesige Hände und hoben ihn hoch. Mit Yasha auf dem Arm rannte der Riese über den Opferplatz. Der Medizinmann und Valo standen sich noch immer gegenüber. Aus Valos Händen schossen Blitze, noch einer und noch einer. Sie trafen den Medizinmann und er begann wie eine Fackel zu brennen und beleuchtete Valo, der hasserfüllt auf die Steinskulptur starrte, die allmählich wieder ihre menschliche Gestalt annahm.
Der widerliche Geruch
nach verbranntem
Fleisch verfolgte Yasha und den Riesen bis hinunter zum Strand. Unsanft landete Yasha im Boot. Der Sand knirschte unter dem Kiel, als der Riese das Boot ins Wasser schob und eilig die Segel hisste.
Das Letzte, was Yasha hörte, war der gewaltige Schrei seines Vaters: »Neiiin – Zürban! Flieh, Yasha!« Der Talisman pochte an Yashas Hals, als wäre er ein lebendiges Herz, dann fiel der Junge in Ohnmacht.
Yasha hatte sehr lange geschlafen. Als er erwachte, näherte sich das Schiff schon Cabeluda. In der Ferne erblickte Yasha die steilen Felsen der Ostseite. Mit einem festen Ruck riss der Riese das Steuer herum. Geräuschlos glitt das Boot in die geschützten Gewässer des kleinen Hafens.
Von den Felsen rechts und links hallten Trommelwirbel. Die Dorfbewohner hatten sich am Ufer versammelt. Sie winkten mit kleinen bunten Stofffetzen und schrien: »Salvi-Co-Ilu, Salvi-Co-Ilu! Willkommen!« Yasha war gerührt vom herzlichen Empfang. Für einen kurzen Augenblick hatte er das Gefühl, zu Hause angekommen zu sein.
» Fertig zum
Anlegen!«, brüllte der
Riese und holte das Großsegel ein, dann warf er die Leine geschickt über einen großen Poller auf dem Kai. Lachend sagte er zu Yasha: »Ja, Salvi-Co-Ilu, heute Abend werden wir deine Hochzeit feiern! Sobald der Neumond erscheint, wird Marisa deine Frau werden. Ach, wie schön, welche Freude!« Darüber waren sie allerdings geteilter Meinung! »Talisman«, flüsterte Yasha leise, »lass dir
Weitere Kostenlose Bücher