Der Tempel der vier Winde - 8
Chance, Eure erhabenste Pflicht zu erfüllen. Die Chance, das Leben der unschuldigen Menschen zu retten, die auf Euch angewiesen sind.«
»Wann wird das sein?«
»Ich weiß nur, daß es nicht mehr lange dauern wird.«
Kahlan nickte. Zu ihrer Verwunderung kamen ihr nicht einmal die Tränen. Dies alles war die vernichtendste persönliche Katastrophe, die sie sich nur vorstellen konnte – sie würde Richard verlieren –, und sie weinte nicht einmal.
Vermutlich würde sie es später tun, nur nicht jetzt, nicht hier.
Sie starrte auf den Tisch. »Shota, Ihr würdet verhindern, daß wir beide ein Kind bekommen, nicht wahr? Einen Jungen?«
»Ja.«
»Ihr würdet versuchen, unseren Sohn zu töten, wenn wir einen hätten, nicht wahr?«
»Ja.«
»Woher weiß ich dann, daß dies alles nicht nur eine Intrige von Euch ist, die verhindern soll, daß wir ein Kind bekommen?«
»Ihr werdet die Wahrheit meiner Worte mit Eurem eigenen Verstand und Herz beurteilen müssen.«
Kahlan mußte an die Worte des sterbenden Jungen denken, und an die Prophezeiung. Irgendwie hatte sie die ganze Zeit gewußt, daß sie Richard niemals heiraten würde. Das alles blieb ein unerfüllbarer Traum.
Als sie noch jung war, hatte Kahlan ihre Mutter über das Erwachsenwerden ausgefragt und wie es sei, einen Liebsten, einen Mann zu haben, ein Heim. Ihre Mutter hatte vor ihr gestanden – wunderschön, strahlend, streng, jedoch mit ihrem Konfessorengesicht.
Konfessoren kennen keine Liebe, Kahlan. Sie kennen nur die Pflicht.
Richard war als Kriegszauberer geboren worden. Auch er war für einen bestimmten Lebenszweck geboren worden. Für die Pflicht.
Sie beobachtete, wie der Wind ein paar Krumen vom Tisch wehte. »Ich glaube Euch«, erwiderte Kahlan leise. »Ich wünschte, es wäre anders, aber ich glaube Euch. Ihr sprecht die Wahrheit.«
Es gab nichts mehr zu sagen. Kahlan stand auf. Um sich auf den zittrigen Beinen halten zu können, mußte sie die Knie aneinanderpressen. Sie versuchte sich zu erinnern, wo sich der Brunnen der Sliph befand, schien ihre Gedanken aber nicht ordnen zu können.
»Danke für den Tee«, hörte sie sich sagen. »Er war köstlich.« Falls die Hexe antwortete, bekam Kahlan es nicht mit.
»Shota?« Kahlan griff nach der Rückenlehne des Stuhls, um sich
abzustützen. »Könntet Ihr mir den Weg zeigen? Ich glaube, ich weiß nicht mehr genau…«
Shota war sofort bei ihr und nahm ihren Arm. »Ich werde Euch ein Stück begleiten, mein Kind«, sagte sie sanft und voller Mitgefühl, »damit Ihr den Weg findet.«
Schweigend gingen sie die Straße entlang. Kahlan gab sich alle Mühe, sich von dem lauen Frühlingsmorgen ein wenig aufmuntern zu lassen. In Aydindril war es noch immer kalt. Bei ihrer Abreise hatte es geschneit. Trotzdem hatte sie keine rechte Freude an diesem schönen Tag.
Als sie die steinernen Stufen hinaufstiegen, die man in die Felswand geschlagen hatte, versuchte Kahlan, sich wieder auf ihre Ziele zu besinnen. Wenn es Ihr und Richard irgendwie gelänge, all diese Menschen vor der Pest zu bewahren, dann wäre das etwas Wundervolles. Den meisten Menschen wäre das Opfer, das sie dafür brachten, gleichgültig, aber das würde die Erleichterung nicht mindern, die sie beim Hören eines Kinderlachens empfände oder beim Anblick der Freude einer Mutter, deren Kind gerettet war.
Es gab noch andere Dinge, für die es sich zu leben lohnte. Die Leere konnte sie mit dem Glück füllen, das sie in den Augen ihres Volkes sähe. Sie hätte etwas getan, das niemand sonst zu vollbringen vermochte. Sie und Richard hätten Jagang daran gehindert, all diese Menschen ins Unheil zu stürzen.
Kurz vor dem oberen Rand der Felswand legte Kahlan an einer Biegung der Treppe eine Pause ein und sah hinunter nach Agaden. Es war wirklich ein herrliches Fleckchen Erde, dieses Tal, das sich zwischen die Gipfel schroffer Gebirgszüge schmiegte.
Sie mußte daran denken, wie der Hüter einen Zauberer und einen Screeling geschickt hatte, die Shota hatten töten sollen. Die Hexe war dem Anschlag mit knapper Not entkommen. Damals hatte sie geschworen, ihr Zuhause zurückzuerobern.
»Ich bin froh, daß Ihr Euer Heim zurückbekommen habt. Ich freue mich für Euch, Shota. Wirklich. Agaden gehört Euch.«
»Danke, Mutter Konfessor.«
Kahlan blickte in die Mandelaugen der Hexe. »Was habt ihr mit dem Zauberer gemacht, der Euch aufgespürt hat?«
»Was ich versprochen hatte. Ich habe ihn an den Daumen aufgehängt, bei lebendigem Leib
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