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Der Tempel zu Jerusalem

Der Tempel zu Jerusalem

Titel: Der Tempel zu Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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Demut lehren.
    Ein Block,
der säuberlich aus der Leere emporragte, erregte die Aufmerksamkeit der
Königin. Er trug ein Steinbruchzeichen, das dem Henkelkreuz sehr ähnlich sah.
Zweifellos hatte sich einer der Arbeiter in Ägypten aufgehalten. An dieser
Stelle hätte man eher Salomos Siegel, die beiden gekreuzten Dreiecke, erwartet,
die einem Werk Fortbestand sicherten. Die Sprache der Bruderschaft war nur
ihnen allein bekannt, doch sie würde sich dem Zauber einer Königin gewaltlos
widersetzen.
    Nagsara nahm Ringe und
Armreifen ab. Sie breitete sie im Kreis vor sich aus. Dann streifte sie
Sandalen und Gürtel ab und legte daraus einen zweiten Kreis um den ersten
herum. Sie kniete sich hin, breitete die Arme aus und rief die Winde der vier
Windrichtungen an, daß sie den Felsen verwitterten und sie dazu verurteilten,
unfruchtbar zu sterben. Als Opfergabe warf sie die Kleinode ins Leere. Um den
beschworenen Zauber zu besiegeln, verflocht sie Sandalenriemen und Gürtel zu
einem Seil, das ihre Gedanken mit denen der Göttin Sechmet verband.
    Vergebliche
Liebesmüh, falls Salomo ihr weiter fernblieb. Nagsara kannte den Preis ihres
Tuns. Sie überließ Sechmet, der furchteinflößenden, blutgierigen Löwin, mehrere
Jahre ihres Lebens. Doch eine alte Frau konnte Salomos Liebe auch nicht
erringen, oder? War da nicht ein kurzes und leidenschaftliches Leben besser,
das sich im Feuer einer wahnwitzigen Liebe verzehrte?
    Nagsara zog das gelbe Gewand
aus und breitete es auf dem Zauberseil aus. Nackt stand sie in der prallen Sonne
und mußte nun nur noch ihr Blut vergießen.
    Liebkosend
fuhren ihre Finger über den Dolch mit dem silbernen Griff, der aus der
Schatzkammer von Tanis stammte. Sie hatte sich ausgemalt, wie sie damit die
Übergriffe eines gräßlichen Königs abwehrte, den sie verabscheuen würde… und
nun wurde er zu einem Werkzeug der Liebe, zum blutigen Sonnenstrahl.
    Nagsara ertrug es nicht, daß
der Name Hiram in ihrem Fleisch eingebrannt stand. Wenn sie ihn mit der Klinge
durchtrennte, die Buchstaben in rote Tränen verwandelte, befreite sie sich von
der Verhexung, die Salomo daran hinderte, sie zu lieben.
    Sie stieß zu.
    Der Dolch
fuhr ins Fleisch und zog eine brennende Wunde auf ihrer Haut. Ein bräunlicher
Nebel trübte den Blick der Königin.
    Sie hörte,
wie jemand ihren Namen rief. Jemand am anderen Ende des Felsens rief sie an.
Jemand flehte sie an, sich nicht umzubringen.
    Noch hatte sie Zeit, das
Opfer zu sein, dessen Salomo in Liebe gedachte, aber sie zitterte. Der Nebel
wurde dichter. Eine Hand ergriff ihren Dolch und zwang sie, die Waffe
loszulassen.
    Hiram hob das gelbe Gewand
auf und zog es Nagsara über. Das Seil stieß er mit dem Fuß in den Abgrund.
    «Nein»,
begehrte die Königin matt auf. «Du hast kein Recht…»
    «Niemand
verhindert das Entstehen des Tempels. Nur der himmlische Wille ist stärker als
meiner. Ich werde den Zauber aufheben.»
    Die Königin
legte den Kopf in den Nacken und genoß aufs neue ein Leben, das ihr fast
entflohen wäre.
    «Wer bist du,
Meister Hiram? Warum meißelst du ein ägyptisches Zeichen auf die Fundamentsteine
des Tempels?»
    «Dieses
Zeichen hättest du nicht sehen sollen, Majestät.»
    «Muß sich ein
Baumeister nicht der Wirklichkeit stellen? Und falls du ein Verräter bist,
falls du Salomo täuschst…»
    «Komm,
Majestät. Die Zauberei hat dich erschöpft.»
    «Weigerst du
dich, mir zu antworten?»
    «Es ist mir einerlei, was man
von mir denkt.»
    Blut tränkte
den zarten, gelben Stoff. Der Nebel, der der jungen Frau den Blick trübte,
wurde dichter. Sie erkannte Hiram nicht mehr.
    Der Abgrund
war so nahe, so verlockend… Wenn sie alle Kraft zusammennahm, waren es nur noch
wenige Schritte, und alle Not war vergessen.
    «Du bist Ägypterin», ermahnte
sie der Oberbaumeister.
    «Dir ist
Selbstmord verboten. Wenn du das tust, verlierst du deine Seele und auf ewig
Salomos Liebe.»
    «Wie… wie
kannst du es wagen…» Hiram stützte die Königin, half ihr beim Gehen. «Man muß
sich um deine Wunde kümmern, Majestät.» Die Berührung dieses Mannes mit der
majestätischen Kraft beunruhigte sie.
    «Ich will
wissen, Oberbaumeister, ich will wissen, warum…»
    «Wir sind nur
Spielzeuge des Unsichtbaren. Der Rest ist Schweigen.»
    Hiram begleitete Nagsara zum
Palast. Ein seltsamer Friede hatte Besitz von ihr ergriffen. Die Wunde brannte
nicht mehr, doch das Geheimnis blieb und war unerträglich. Der Baumeister kam
ihr zugleich nah und fern vor, zärtlich

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