Der Teufel von New York
vergeblich gehofft hatte. Natürlich. Das, was ihr noch an Herz geblieben war, hatte sie an die falsche Person verschenkt. Ich bereute meine Bemerkung, als ich gewahr wurde, dass sie nicht mehr mich sah, sondern Val, dass sie an die erste Herzlosigkeit dachte, die er ihr angetan hatte. Ihre Lippen verzerrten sich für einen Moment, und dann brachte sie sie wieder unter Kontrolle und lächelte, als hinge ihr Leben davon ab. Das hatte es vermutlich nicht nur einmal.
Anmutig, in wassergrüner, raschelnder Seide erhob sie sich und hielt Ausschau nach ihren Handschuhen, die sie auf den Verkaufstresen gelegt hatte.
Und dabei fiel ihr Blick auf das Nachthemd. Silkie Marsh warf den Kopf herum und starrte mich an.
»Ich konnte Neill und Sophia ja wohl kaum in diesem Aufzug in eine Kirche bringen, oder?«, bemerkte ich angeekelt.
»Aber gewiss nicht, Mr. Wilde«, erwiderte sie, eine Zucker- und Gift-Mischung am Siedepunkt. »Dennoch hoffe ich, Sie haben sie angemessen dafür entlohnt, dass sie ... die Nacht hier verbracht haben. Nachdem sie offensichtlich unterhaltsame Gäste waren. In meinem eigenen Haus sorge ich immer dafür, dass sie ordentlich dafür entschädigt werden, wenn sie ihre Zeit geopfert haben.«
»Sollte ich je dahinterkommen, dass Sie noch weitere Kinder beschäftigen, dann wird Prostitution, in jeder Form, unter Ihrem Dach plötzlich mit ganz unerhörter Härte verfolgt werden.«
Schon bevor ich Silkie Marsh traf, wusste ich, dass Frauen imstande sind, Mord auf ihre Augenlider zu schreiben und sie dann liebreizend zu einem Mann aufzuschlagen. Aber gesehen hatte ich es noch nicht. Wenn es gut gemacht wird, ist es ziemlich respekteinflößend.
»Es muss schwer sein, als Valentine Wildes unterentwickelter Bruder durchs Leben zu gehen. Es wundert mich kaum, dass Sie so verbittert sind«, sagte sie höflich, als sie durch die Tür ging.
»Ich richte Val dann mal die besten Grüße von Ihnen aus, nicht wahr?«
Die Tür fiel mit einem Knall ins Schloss.
Meine Nerven lagen ziemlich bloß. Ich fühlte mich erleichtert, wütend und aufgekratzt, als wäre ich von flinken, geschickten Fäusten durchgewalkt worden. Ich beschloss, Mrs. Boehm, sobald sie nach Hause kam, sehr freundlich darüber aufzuklären, warum diese besondere Frau unter keinen Umständen je wieder ihr Haus betreten durfte. Der Arbeitstisch – an dem ich mich schon richtig zu Hause gefühlt hatte – erschien mir jetzt, da Silkie Marsh daran gesessen hatte, plötzlich irgendwie falsch platziert. Alle Luft schien aus dem Raum verdrängt. Ich nahm meinen Hut ab, ging zu dem Schrank, in dem ich meine Habseligkeiten verwahrte, und kippte einen ordentlichen Schuss Brandy in meinen Tee.
Hinter mir hörte ich Schritte – barfuß, geisterhaft.
»Ich hab mich nicht versteckt« , sagte Bird.
Ich fuhr herum. Sie band gerade den behelfsmäßigen Sackleinengürtel um ihre Taille, ihr offenes Haar ließ den Rest des Körpers nahezu verschwinden, ihre grauen Augen waren voller Furcht, und ihr New Yorker Akzent floss stetig wie der Hudson.
»Natürlich nicht«, rief ich. »Du meine Güte, nein. Was ichdachte – was ich gehofft hatte, wenn ich ehrlich sein soll –, war, dass du uns belauschst. Von irgendwo, wo man dich nicht sehen kann, wie eine echte Spionin.«
Nach meiner Einschätzung der Lage war es höchste Zeit, dass ich selbst auch mit dem Lügen anfing. Die Hände meiner kleinen Freundin zitterten.
Bird nickte erschöpft, dann tapste sie hinüber zum Tisch.
»Ja, genau so war’s. Ich hab spioniert. Der haben Sie es aber gezeigt.«
»Ja?«
»Ich wusste, dass Sie ihr das Wasser reichen können. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, warum eigentlich, aber ich hab Sie immer für einen guten Menschen gehalten. Ich habe Sie nämlich wiedererkannt, sie hat mich durch das, was sie gesagt hat, draufgebracht. Jetzt weiß ich es wieder.«
Ich ließ mich mit meiner Tasse auf einem Stuhl nieder, stützte die Ellbogen auf die Knie und sah sie an. »Aber du hattest mich vorher noch nie gesehen.«
» Sie nicht«, stellte sie klar. »Aber immer, wenn es ein großes Fest gab, musst ich mich als Dienstmädchen verkluften und den Gavern die Getränke servieren. Mr. V! Er hat mir mal eine Orange geschenkt, die er in der Tasche hatte. Ich hätt das schneller verlunscht, wenn Sie beide die gleiche Größe hätten.«
Ich seufzte, meine Stimmung trübte sich. »Hat er dich anständig behandelt?«
»Bestnote. Und Sie sind ihm wie aus dem Gesicht
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