Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)
Blut aus dem Gesicht und erschrak. Es war Dakpo.
Einer der Kriecher bemerkte Shans Reaktion und musterte ihn argwöhnisch. Shan zog sich zurück und floh mit den anderen verängstigten Besuchern aus dem Raum.
Im Innenhof blieb er stehen, wie betäubt vor lauter Verzweiflung. Aus irgendeinem Grund hatte er zu glauben begonnen, Dakpo wisse mehr als alle anderen über die Morde und dass seine mysteriöse Reise in den Norden den Schlüssel zum Rätsel des Tals und seines Klosters bedeuten würde. Doch all das war verloren. Ein Mönch, der in eine Schlägerei geriet, würde auf jeden Fall eingesperrt werden und vermutlich sogar sein Gewand verlieren.
Polizeiwagen mit blinkenden Signalleuchten trafen ein, gefolgt von einem Krankenwagen. Als Shan sich weiter zurückzog, zupfte ihn jemand am Arm. Er ließ sich von Meng auf die andere Straßenseite zu einem der Tische des Cafés führen und sah hilflos dabei zu, wie uniformierte Männer und Frauen in den Innenhof liefen. Dakpo rührte sich nicht mehr, als zwei Kriecher ihn aus dem Tempel trugen. Jigten hatte ihn mehrmals getroffen und seinen Kopf auf den Boden geschlagen.
Als die Beamten den Mönch in den Krankenwagen luden, stand Shan auf. Meng zog ihn zurück auf seinen Stuhl. »Es ist nicht, was du glaubst«, sagte sie. Verwirrt sah er den Krankenwagen ohne Polizeieskorte wegfahren.
»Das verstehe ich nicht«, sagte er zu Meng, aber sie rief den Kellner und bestellte Tee.
»Ich habe dir etwas gekauft«, sagte sie, nachdem er einen Schluck getrunken hatte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass neben seinem Ellbogen ein kleines Päckchen in braunem Papier lag.
»Wo ist das Krankenhaus?«, fragte er.
»Das dürfte nicht schwer zu finden sein.« Sie wies mit verlegenem Lächeln auf das Päckchen.
»Warum hat die Polizei Dakpo nicht begleitet?«
Meng ignorierte seine Frage. »Ich bin an einem kleinen Andenkenladen vorbeigekommen. Der Mann hat gesagt, dies wäre ein altes Exemplar. Du hast deines nicht mehr.«
Shan betrachtete sie einen Moment. Sie sah jünger aus als zuvor. Und ihre Augen strahlten. Lass sie , rief eine Stimme in ihm. Sie ist eine Kriecherin. Sie wird immer eine Kriecherin sein. Du verabscheust die Kriecher . Er öffnete das Päckchen.
Es war eine tibetische Gebetskette.
»Eine mala ?«, fragte er überrascht. Er schaute in die Richtung, in die der Krankenwagen verschwunden war, und betastete dann die Perlen. Das war keine gewöhnliche mala , sondern ein sehr altes und seltenes Exemplar aus Sandelholz. In jede einzelne Perle war kunstvoll der Kopf einer Gottheit eingeschnitzt. »Das kann ich nicht annehmen«, protestierte er. »Es ist eine echte Kostbarkeit.«
»Sei nicht albern. Die werden an Touristen verkauft.«
Seine Hand ließ die Perlen wie aus eigenem Antrieb durch die Finger gleiten. Sie fühlten sich warm und natürlich an und glatt vom langen Gebrauch.
»Das steht dir«, sagte Meng.
Shan blickte auf. »Wie bitte?«
»Dein Lächeln. Ich sehe es gerade zum ersten Mal. Wann hat dir zuletzt eine Frau etwas geschenkt?« Die Frage war ebenso überraschend wie das Präsent.
Er strich sich mit der Hand über das kurze Haar und war sich schmerzlich seiner schäbigen Kleidung bewusst. Es lag fast dreißig Jahre zurück. »Vor sehr langer Zeit«, antwortete er leise.
Auch ihr stand ihr Lächeln gut. Einen Moment lang vergaß er Jigten und Dakpo, dann fiel sein Blick wieder auf die Gebetskette. »Kannst du mich zu diesem Laden bringen?«, bat er.
Das kleine Geschäft lag zwischen einem Nudelstand und einer Fahrradwerkstatt. Im Schaufenster standen Plastikbüsten von Mao mit tibetischer und chinesischer Aufschrift, dazu Schneeleoparden aus Speckstein und Fliegenwedel aus echten Yakschwänzen. Drinnen gab es im hinteren Teil eine Vitrine voller malas , Zeremoniendolche, Tempelglocken und gaus , allesamt erlesen gearbeitete Antiquitäten. Sie wurden hier feilgeboten, als handle es sich auch bloß um billigen Plunder.
Shan sah verwirrt zu dem Ladenbesitzer, der gerade mit einer chinesischen Familie sprach. »Wie kann das sein? Diese Sachen müssten sich in Museen befinden.«
Meng zuckte die Achseln. »Es heißt, die Lagerräume seien voll. Wenn es aus Gold oder Silber ist, wird es eingeschmolzen, andernfalls kann es lokal entsorgt werden.«
Shans ungutes Gefühl wurde immer stärker. »Wie meinst du das?«
»An den Eingängen der Lager gibt es große Tonnen. Wir nehmen ihnen die Sachen ab und versteigern sie kiloweise auf Auktionen.« Ihr Lächeln
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