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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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schwebte über einem Abgrund.
    Die Wände bebten, das ganze Haus musste von der Macht des Wassers ergriffen worden sein. Zwar brannte die Öllampe auf der Konsole noch, auf der sie vor ein oder zwei Minuten abgestellt worden war, doch wackelte sie so sehr, dass sie sicher bald erlöschen und die beiden im Dunkeln zurücklassen würde.
    »Drehen Sie mich herum«, kommandierte Ah Ling. »Lösen Sie ganz vorsichtig die Bremse. Sie müssen sich vorher dagegenstemmen, um das Gewicht halten zu können.«
    Der Dielenboden war so rutschig, dass Sally nur mit großer Mühe Halt fand. Auf der anderen Seite des Rollstuhls war die Gittertür des Aufzugs, und wenn sie die erreichte …
    Der Aufzug! Damit könnten sie hier herauskommen!
    Doch gerade als sie die Entfernung abschätzte und sich überlegte, wie sie ihn dorthin schieben konnte, brachte eine Reihe starker Erschütterungen, unterirdischen Sprengladungen gleich, den Boden und die Wände zum Zittern. Sally hielt sich am Rollstuhl fest, um das Gleichgewicht zu halten, aber im nächsten Augenblick wurde sie schon von einem Wasserstrahl umgeworfen, der sie zwischen den Schulterblättern traf. Sie landete zur Hälfte auf Ah Lings Schoß und hielt sich an seinem Ärmel fest. Irgendetwas spritzte sie voll – die Gischt füllte den ganzen Raum – und als sie allmählich deutlicher sah, erkannte sie, dass es keine Rettung gab: Die Hydraulikleitungen, die den Aufzug versorgt hatten, waren geplatzt. Wasser strömte aus ihnen und mischte sich unter den schmutzigen Strom, der rauschend den Keller unterspülte. Ein Teil des Fußbodens stand bereits unter Wasser.
    Der Aufzugschacht mit dem stählernen Rahmen hing beängstigend über ihnen, während der Lift selbst zwischen verbogenen Eisenteilen und Rohrleitungen festgeklemmt war. Doch er hing sicher an seinem Drahtseil, und wenn sie Ah Ling auf den Boden des Aufzugs hieven könnte … Er war auf gleicher Höhe mit dessen Brust. Aber wie um alles in der Welt sollte sie das schaffen? Egal, sie musste es versuchen.
    Sally richtete sich auf, setzte sich auf den Rand des Liftbodens und ergriff die Aufschläge seines Hausmantels. Sie zog, so fest sie konnte, und hob ihn dennoch höchstens zwei, drei Zentimeter nach oben.
    Ihre Position war falsch; in dieser Stellung erzielte sie keine Hebelwirkung. Sie sprang hinunter, zog den Rollstuhl näher und hob seine Arme über die Lehnen des Stuhls (sie allein waren schwer genug), so dass sie ihre Arme nun von hinten um seine Brust legen konnte.
    Doch ihre Hände trafen sich nicht, sein Körper war zu breit. Sie versuchte ihn trotzdem anzuheben, aber der Stuhl war im Weg. Sie konnte ihn so gut wie gar nicht bewegen.
    »Ich versuche Sie mit der Wolldecke hochzuziehen«, sagte sie.
    Sally zog die durchtränkte Decke von seinem Schoß und befestigte das eine Ende am Eckpfosten des Lifts. Die übrige Decke schob sie unter seinen Achseln hindurch, stieg auf den Aufzugboden, kniete sich an den Rand und zog mit aller Macht.
    Es funktionierte. Anfangs sackte sein schwerer Leib nach vorn, so dass sie schon fürchtete, er könnte ins Wasser fallen, doch unter Aufbietung all ihrer Kräfte gelang es ihr, den größten Teil seines Oberkörpers auf den Liftboden zu hieven. Der Rest fiel ihr verhältnismäßig leicht; sie stieg hinunter und schob seine Beine auf die Plattform. Triefend und schwer wie eine große tote Wasserschnecke, lag er schließlich am Rand des Aufzugbodens. Neben ihm, bis zur Hüfte im Wasser, klammerte sich Sally erschöpft am Eckpfosten fest.
    Sie hatte nicht mehr die Kraft, sich selbst noch einmal hochzuziehen, schaffte es aber schließlich doch, mühsam hinaufzuklettern, und lag dann keuchend, zitternd und frierend neben ihm.
    Nach einer kurzen Verschnaufpause erhob sie sich und sorgte dafür, dass er frei atmen konnte. Sie rollte ihn auf den Rücken und lockerte ihm Halstuch und Kragen. Er schaute zu ihr auf. Der Ausdruck seines Gesichts entzog sich einer Deutung, aber dasselbe galt auch für sie.
    »Man muss uns oben gehört haben«, flüsterte sie. Sie wollte in normaler Lautstärke sprechen, doch sie hatte keine Stimme.
    »Da!«, sagte er. Er hatte den Treppenaufgang an der gegenüberliegenden Seite des Raums im Blick. Die Tür war verschwunden; der Türrahmen und eine Partie der Wand waren ins Wasser gesunken, so dass nun die Stufen sichtbar waren. Lichter flackerten, Schatten huschten – über dem Rauschen des Stroms waren Stimmen und Alarmrufe zu hören.
    Doch tief im Boden

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