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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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muss man das sein. Er sieht, dass es halb elf ist, und flucht innerlich, denn ihm fällt ein, dass er seiner Frau versprochen hat, früh nach Hause zu kommen. Die Schlaftabletten rauschen immer noch durch sein Blut, und er merkt, dass das Umblättern der Zeitung mit einer gewissen Anstrengung verbunden ist.
    Plötzlich kitzelt ihn etwas im Genick, neckt seine Nackenhaare, und Bunny spürt, dass er die Aufmerksamkeit des Paars erregt hat, das auf der anderen Seite des Restaurants frühstückt. Beim Hereinkommen hatte er die beiden im gestreiften Licht der Jalousie am Fenster sitzen sehen.
    Langsam und vorsichtig dreht er sich um, und ihre Blicke treffen sich wie die von Tieren.
    Ein Mann mit Reptilienzähnen, dessen Kopfhaut hell durch das schüttere Haar leuchtet, tätschelt die klunkerschwere Hand einer Mittvierzigerin. Er erwidert Bunnys Blick mit einem anzüglichen, wissenden Grinsen – sie sind beide auf dasselbe aus. Die Frau sieht Bunny an, und er mustert ihre ausdruckslosen, kalten Augen unter der botoxsteifen Stirn. Beim Anblick ihrer gebräunten Haut, ihres wasserstoffblonden Haars, ihrer gallertartigen Lippen und der Sommersprossen am Ansatz ihres üppigen Silikonbusens spürt er ein vertrautes Schwellen im Schritt. Bunny versinkt für einen Moment in einer Art Trance, und dann erkennt er die Frau schlagartig wieder; er war vor ein oder zwei Jahren mal mit ihr in einem Strandhotel in Lancing, da war sie noch nicht operiert. Er erinnert sich, wie er entsetzt und verwirrt aufgewacht war, am ganzen Körper mit ihrer orangefarbenen Bräunungscreme beschmiert. »Hilfe, was ist das?«, hatte er geschrien und panisch auf seine verfärbte Haut geklatscht. »Was ist das?«
    »Kennen wir uns?«, fragt der Mann mit glasigen Augen und näselnder Stimme quer durch den Frühstücksraum.
    »Was?«, fragt Bunny.
    Die Muskeln um die Mundwinkel der Frau kontrahieren und ziehen ihre Lippen seitlich auseinander, und Bunny braucht einen Moment, um zu begreifen, dass sie ihn anlächelt. Er lächelt zurück, auf seine Grübchen ist Verlass, und Bunny spürt, wie in seiner getigerten Unterhose eine stramme, beulenpestartige Erektion hochspringt. Die Frau wirft den Kopf in den Nacken, und ein gehemmtes Lachen löst sich aus ihrer Kehle. Das Paar steht vom Tisch auf, und der Mann geht wie ein Skelettdinosaurier auf den Hinterbeinen auf Bunny zu und klopft sich dabei die Brotkrümel vorn von der Hose.
    »Sie sind mir ja vielleicht ein komischer Kauz«, knurrt er ihn an. »Aber echt.«
    »Ich weiß«, antwortet Bunny.
    »Sie sind ja nicht von dieser Welt«, sagt der Mann.
    Bunny zwinkert der Frau zu. »Gut siehst du aus«, sagt er und meint es ernst.
    Das Paar geht aus dem Frühstücksraum und hinterlässt einen widerwärtigen, leicht fäkalen Hauch von Chanel No. 5, der Bunnys Kater noch verschlimmert, und er zuckt zusammen, entblößt kurz die Zähne und wendet sich wieder seiner Zeitung zu.
    Er leckt den Zeigefinger an, blättert um und sieht ein ganzseitiges Überwachungskamerabild von dem Typen mit dem bemalten Oberkörper, den Plastikhörnern und dem Dreizack.
    ›SEXTEUFEL AUF FREIEM FUSS‹, lautet die Schlagzeile. Bunny versucht den Artikel zu lesen, aber die Wörter tun einfach nicht, wozu sie mal erfunden wurden, sondern verlassen andauernd die Formation, vertauschen ihre Reihenfolge, kriechen über die Seite, ändern ihren Code, was auch immer, machen jedenfalls nur Mist, und Bunny gibt auf und spürt, wie ein saurer Atompilz in seinem Bauch explodiert und seinen Hals hinaufschießt. Er schüttelt sich und würgt.
    Als Bunny hochsieht, steht vor ihm eine Kellnerin, die ein Tablett mit einem kompletten englischen Frühstück vor sich hält. Wangen, Kinn, Brüste, Bauch und Hintern – sie sieht aus, als wäre sie von Kopf bis Fuß mit dem Zirkel entworfen worden –, eine Ansammlung weicher, fleischiger Kreise und mittendrin zwei große, farblose Kulleraugen.
    Sie trägt ein violettes Gingan-Kostüm mit weißen Ärmelaufschlägen und weißem Kragen, das ihr eine Nummer zu klein ist, ihr Haar ist zurückgekämmt und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und auf ihrem Namensschild steht ›RIVER‹. Bunny stellt sie sich nackt vor und sieht für den Bruchteil einer Sekunde cremegefüllte Windbeutel vor sich, dann eine nasse Tüte voll überreifer Pfirsiche, aber dann setzt sich ein Fantasiebild ihrer Vagina fest, mit den Haaren und dem Loch. Er schließt die Zeitung und sagt mit einem bedächtigen, ungläubigen

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