Der Tod ist mein Nachbar
Monaten bei einer Ausstellung von Thesigers Wüstenfotos im Pitt Rivers Museum bekannt gemacht hatte. Davon erwähnte Morse aber nichts gegenüber Lewis, als sie abends im Präsidium zusammensaßen. Auch die Entdeckung, daß der Schlips, über dessen Herkunft er so gründliche Nachforschungen angestellt hatte, in jeder Filiale von Marks & Spencer zum Preis von 6,99 Pfund zu haben war, behielt er für sich.
»Wir werden uns diesen Storrs bald vornehmen müssen, Sir.«
»Ja, gewiß. Aber wir haben nichts gegen ihn in der Hand. Es ist nicht strafbar, sich mit einer hübschen Frau fotografieren zu lassen. Immerhin ist es interessant, daß sie gerade The Masters gelesen hatte.«
»Ich kenne das Buch nicht, Sir.«
»Es geht da um Intrigen in einem College in Cambridge, dessen Master gestorben ist. Und neulich stand in der Un i versity Gazette , daß der derzeitige Master von Lonsdale seinen Talar an den Nagel hängen will. Sie verstehen?«
»Ich denke schon«, log Lewis.
»Storrs ist Fellow in Lonsdale, der dienstälteste Fellow, soviel ich weiß. Und wenn er ihr dieses Buch empfohlen hat …«
»Bringt uns allerdings nicht viel weiter. Wir suchen das Motiv.«
Morse nickte. »Eben. Wenn er die Position gern haben möchte – und wenn sie gedroht hat, ihm die Tour zu vermasseln …«
»Erpressung?«
»Sie dürfte Briefe gehabt haben.«
»Die Postkarte.«
»Fotos.«
» Ein Foto.«
»Hotelrechnungen. Wenn mit einer Kreditkarte bezahlt wurde, war es bestimmt nicht ihre.«
»In solchen Fällen zahlt man im allgemeinen lieber bar.«
»An sich habe ich gedacht, Sie wären hier, um mir zu helfen, Lewis …«
»Ich möchte nur, daß wir ganz klar sehen, wieviel – oder wie wenig – wir in der Hand haben. Aber natürlich hat sie nicht mit ihrem Geld bezahlt, das stimmt schon, sie hat sicher ganz schön rechnen müssen: Die Einrichtung der Praxis, Miete und dergleichen, dazu noch die Hypothek auf das Haus und die Kosten für den Wagen …«
»Richtig, der Wagen!« Morse, der für Autos mit Ausnahme des eigenen keinerlei Interesse aufbrachte, vergegenwärtigte sich noch einmal den weißen Mini vor Nummer 17.
»Vielleicht sollten Sie sich den Wagen noch mal genauer ansehen, Lewis.«
»Hab ich schon. Fahrtenbuch im Handschuhfach, Straßenatlas unter dem Beifahrersitz, Feuerlöscher unter der Rückbank …«
»Keine Drogen oder Pornos im Kofferraum?«
»Nein. Nur eine Lenkradverriegelung und ein Aufkleber der Labour Party.«
Lewis sah auf die Uhr. 20.35 Uhr. Es war ein langer Tag gewesen, und er war fix und fertig. Und auch sein Chef sah hundemüde aus. Er stand auf.
»Ach ja, und zwei Kassetten: Ella Fitzgerald und irgendwas von Mozart.«
»Irgendwas?«
»Irgendwas mit Klarinette.«
»Concerto oder Quintett?«
Zum Glück läutete das Telefon, ehe Lewis dazu kam, eine Antwort zu geben (er hätte sowieso passen müssen).
Chief Superintendent Strange.
»Sie sind noch im Büro, Morse? Ich hab’s schon im Red Lion probiert.«
»Was kann ich für Sie tun, Sir?« fragte Morse resigniert.
»Sie können was fürs Fernsehen tun. Die BBC will Sie für die Nine O ’ Clock News und ITV für News at Ten . Das eine Team ist schon da.«
»Ich habe den Leuten schon alles gesagt, was wir wissen.«
»Dann lassen Sie sich gefälligst noch was einfallen. Hier geht es nicht nur um Mord, Morse, sondern um Public Rel a tions .«
18
Donnerstag, 22. Februar
Zum Beispiel stehen in Aufzählungen wie »Französisch, Deutsch, Italienisch und Spanisch« die beiden Kommas anstelle eines »und«; nach »Italienisch« steht kein Komma, weil es sinnlos wäre. Es gibt allerdings auch Tendenzen, in diesem Fall ebenfalls ein Komma zu setzen mit der Begründung, daß man es, da es zuweilen gesetzt werden muß, um Mehrdeutigkeiten zu vermeiden, der Einheitlichkeit wegen ebensogut immer setzen kann.
(Fowler, Modern English Usage )
Am Donnerstag strich Morse nach der Mittagspause wieder um den Bloxham Drive 17 herum. Er hatte das unbestimmte, aber beharrliche Gefühl, dort bisher etwas Wichtiges übersehen zu haben.
Oder – vielleicht doch nicht …?
In der (inzwischen aufgeräumten) Küche machte er das Radio an. War es gelaufen, als die Polizei eintraf? Hatte Rachel James noch die Sendung Today gehört, als sie – vielleicht nur für eine Sekunde – auf das Blut heruntersah, das über ihr Nachthemd sprudelte?
Im Wohnzimmer blieb er vor dem Regalfach stehen, auf dem die Taschenbücher standen. Hauptsächlich Romane
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