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Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007

Titel: Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Wright
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hatte. Dies war ein frappierender Verstoß gegen das überlieferte Abkommen zwischen Al-Saud und der wahhabitischen Geistlichkeit. In der folgenden Woche saß Turki in der Moschee in der ersten Reihe, und als sich der Imam erhob, stellte ihn Turki aufgebracht zur Rede. „Dieser Mann hat meine Familie entehrt!“, rief Turki ins Mikrofon. „Meine Schwestern! Meine Schwiegertochter! Entweder er beweist seine Anschuldigungen oder ich verklage ihn!“ 12 Ein Augenzeuge des Vorfalles berichtete, Turki habe gedroht, den Mann an Ort und Stelle zu töten.
    Die freche Verleumdung und Prinz Turkis wütende Reaktion sorgten für Aufruhr im Land. Der Gouverneur von Riad, Prinz Salman, stellte den respektlosen Imam unter Arrest. Dieser bot umgehend eine Entschuldigung an, die Turki auch akzeptierte. Doch Turki begriff, dass sich das Machtgleichgewicht zwischen den beiden Gruppen allmählich verschob. Viele seiner Familienangehörigen fühlten sich eingeschüchtert durch die Religionswächter, die durch die Einkaufszentren und die Straßen streiften und Polizisten herumkommandierten. Die eifrigen Religionswächter, das war zu befürchten, würden sich irgendwann auch gegen die offenkundige Verkommenheit der Königsfamilie wenden; jetzt hatten sie sogar die wohltätige Arbeit bekannter und ehrbarer Prinzessinnen angegriffen, die sich der Anliegen der Frauen angenommen hatten. Die Herrscherfamilie konnte eine derartige Beleidigung natürlich nicht hinnehmen, doch dass solche Beschuldigungen öffentlich ausgesprochen wurden, zeigte, dass sich die Muttawa mittlerweile stark genug fühlten, um unter den Augen der herrschenden Prinzen zum Umsturz aufzurufen.
    Wie die CIA war auch Turkis Geheimdienst nicht zuständig für Operationen im Inland; dies war die Domäne von Prinz Naif, Turkis streitsüchtigem Onkel, der das Innenministerium leitete und eifersüchtig über seine Kompetenzen wachte. Turki gelangte zu dem Schluss, dass die Situation im Inland zu gefährlich geworden sei, um davor weiter die Augen zu verschließen, auch wenn dies bedeutete, dass er Naif ins Gehege kam. Er begann insgeheim Mitglieder der Muttawa zu überwachen. Dabei stellte sich heraus, dass es sich bei ihnen meist um ehemalige Strafgefangene handelte, die sich für ihre Aufgabe lediglich dadurch qualifiziert hatten, dass sie den Koran auswendig gelernt hatten, um ihre Strafe zu verkürzen. 13 Aber sie waren mittlerweile so mächtig geworden, fürchtete Turki, dass sie eine ernsthafte Gefahr für die Regierung darstellten.
     
    DAS LEBEN in Saudi-Arabien war seit jeher geprägt durch Verzicht, Unterwürfigkeit und religiöse Inbrunst, doch die Herrschaft der Muttawa erstickte jegliche soziale Interaktion und setzte eine gefährliche neue Orthodoxie durch. Seit Jahrhunderten wurden die vier anerkannten Rechtsschulen des sunnitischen Islams - die hanafitische, malikitische, schafiitische und hanbalitische Lehre - in Mekka unterrichtet und studiert. 14 Die Wahhabiten behaupteten, über diesen theologischen Disputen zu stehen, in der Praxis jedoch unterbanden sie jede andere Glaubensauslegung. Die Regierung verbot den Schiiten, die in Saudi-Arabien eine größere Minderheit darstellen, neue Moscheen zu bauen oder bestehende zu vergrößern. 15 Nur die Wahhabiten durften ihren Glauben ungehindert praktizieren.
    Die saudische Regierung begnügte sich nicht damit, im eigenen Land jeden Ansatz religiöser Freiheit zu ersticken, sie begann auch, die islamische Welt zu missionieren und richtete mit den Milliarden Rial, die ihr durch die Religionssteuer (Sakat) zuflossen, in allen Teilen der Welt Hunderte von Moscheen und Schulen sowie Tausende von Religionsschulen ein, die mit wahhabitischen Imamen und Lehrern besetzt wurden. Auf Saudi-Arabien, das nur ein Prozent der islamischen Weltbevölkerung stellt 16 , entfielen schließlich 90 Prozent aller Ausgaben dieser Religionsgemeinschaft, wodurch alle anderen Traditionen des Islams zurückgedrängt wurden. 17
    Die Musik verschwand aus dem Königreich. Kurz nach dem Überfall auf die Große Moschee in Mekka 1979 erhielten Umm Kalthoum und Fayrouz, die bekanntesten Sänger der arabischen Welt, Auftrittsverbot im saudischen Fernsehen, dessen Sendungen ohnehin bereits beherrscht wurden von bärtigen Männern, die über Feinheiten des Religionsgesetzes debattierten. Bis zum Angriff auf die Moschee hatte es in Saudi-Arabien auch noch einige Kinos gegeben, die nun geschlossen wurden. Im Jahr 1989 wurde in Riad eine prächtige

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