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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Monatsraten zu zehn Francs abzahlen
    sollte. Waren Lantiers zwanzig Francs auch
    auf etwa zehn Monate durch die entstandenen
    Schulden im voraus durchgebracht, so würde
    es später doch einen hübschen Gewinn
    abwerfen.
    In den ersten Junitagen fand der Einzug des
    Hutmachers statt. Am Tage vorher hatte sich
    Coupeau erboten, seinen Koffer von ihm zu
    Hause zu holen, um ihm die dreißig Sous für
    eine Droschke zu ersparen. Doch der andere
    hatte verlegen dagestanden und gesagt, sein
    Koffer sei zu schwer, als habe er bis zum
    letzten Augenblick die Stelle verheimlichen
    wollen, wo er wohnte. Er kam am Nachmittag
    gegen drei Uhr an. Coupeau war nicht da. Und
    Gervaise, die an der Ladentür stand, wurde
    ganz blaß, als sie den Koffer auf der Droschke
    erkannte. Es war beider Koffer von einst, der
    Koffer, mit dem sie von Plassans hergereist
    war und der heute zerschunden, zerschlagen
    war und von Stricken zusammengehalten
    wurde. Sie sah ihn zurückkommen, wie sie es
    oft geträumt hatte, und sie konnte sich
    vorstellen, daß ihn dieselbe Droschke ihr
    zurückbrachte, die Droschke, in der sich die
    Poliererin, dieses Weibsbild, über sie lustig
    gemacht hatte. Unterdessen war Boche Lantier
    behilflich.
    Die Wäscherin folgte ihnen stumm, ein wenig
    benommen. Als sie ihre Last mitten in der
    Stube abgesetzt hatten, sagte sie, bloß um zu
    reden: »Na, das wäre geschafft, was?« Dann
    faßte sie sich wieder, und als sie sah, daß
    Lantier, der damit beschäftigt war, die Stricke
    aufzuknoten, sie nicht einmal anschaute, fügte
    sie hinzu: »Herr Boche, Sie trinken doch einen
    Schluck.« Und sie holte eine Literflasche und
    Gläser.
    Eben ging Poisson in Uniform auf dem
    Bürgersteig vorüber. Mit den Augen
    zwinkernd, gab sie ihm mit ihrem Lächeln
    einen kleinen Wink. Der Polizist begriff
    vollkommen. Wenn er im Dienst war und man
    ihm zublinzelte, so hieß das, daß man ihm ein
    Glas Wein anbot. Er ging sogar stundenlang
    vor dem Laden der Wäscherin auf und ab und
    wartete, daß sie ihm zublinzelte. Da ging er,
    um nicht gesehen zu werden, über den Hof
    und zwitscherte heimlich sein Gläschen.
    »Aha!« sagte Lantier, als er ihn eintreten sah.
    »Sie sind es, Badinguet61!« Er nannte ihn aus
    Ulk Badinguet, um sich über den Kaiser lustig
    zu machen.
    Poisson nahm das mit seiner starren Miene
    hin, ohne daß man erfahren konnte, ob ihn das
    im Grunde ärgerte. Übrigens waren die beiden
    Männer, obgleich sie durch ihre politischen
    Überzeugungen getrennt waren, sehr gute
    Freunde geworden.
    »Sie wissen ja, der Kaiser ist Polizist in
    London gewesen62«, sagte Boche seinerseits.
    »Ja, mein Wort! Er hat die besoffenen Weiber
    aufgelesen.«
    Doch Gervaise hatte drei Gläser auf dem Tisch
    gefüllt. Sie selbst wollte nichts trinken, ihr war
    im Magen ganz komisch zumute. Aber sie
    blieb und sah zu, wie Lantier die letzten
    Stricke abnahm, war von dem Verlangen
    erfaßt, zu erfahren, was der Koffer enthielt. Sie
    erinnerte sich an einen Haufen Socken in einer
    Ecke, an zwei schmutzige Hemden, an einen
    alten Hut. Waren diese Sachen noch da?
    Würde sie die Lumpen der Vergangenheit
    wiederfinden?
    Bevor Lantier den Deckel hochhob, nahm er
    sein Glas und stieß an.
    »Auf Ihre Gesundheit.«
    »Auf die Ihre«, erwiderten Boche und Poisson.
    Die Wäscherin füllte die Gläser abermals. Die
    drei Männer wischten sich mit der Hand die
    Lippen ab. Endlich öffnete der Hutmacher den
    Koffer. Er war angefüllt mit einem
    Durcheinander von Zeitungen, Büchern, alten
    Kleidungsstücken, gebündelter Wäsche.
    Nacheinander zog er eine Kasserolle, ein Paar
    Stiefel, eine Büste von LedruRollin63 mit
    zerbrochener Nase, ein besticktes Hemd, eine
    Arbeitshose daraus hervor.
    Gervaise, die sich vorbeugte, spürte, wie ein
    Tabaksgeruch aufstieg, der Geruch eines
    unsauberen Mannes, der nur die Oberseite
    pflegt, das, was man von seiner Person sieht.
    Nein, der alte Hut war nicht mehr in der Ecke
    links. Dort lag ein Nähkissen, das sie nicht
    kannte, irgendein Geschenk einer Frau. Da
    beruhigte sie sich, sie empfand eine
    unbestimmte Traurigkeit, während sie sich die
    Gegenstände weiter genau ansah und sich
    dabei fragte, ob sie aus ihrer Zeit oder aus der
    Zeit anderer Frauen stammten.
    »Hören Sie mal, Badinguet, kennen Sie das
    nicht?« fing Lantier an. Er hielt ihm ein
    kleines, in Brüssel gedrucktes und mit Stichen
    geschmücktes Buch unter die Nase: »Die
    Liebschaften Napoleons III.« Darin wurde
    unter anderen

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