Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
Vom Netzwerk:
Anekdoten erzählt, wie der
    Kaiser die dreizehnjährige Tochter eines
    Kochs verführt hatte; und die Abbildung stellte
    Napoleon III. mit nackten Beinen dar, der
    allein den Großkordon der Ehrenlegion64
    umbehalten hatte und einer Göre nachstellte,
    die sich seiner Lüsternheit entzog.
    »Ah, das ist richtig!« rief Boche aus, dessen
    heimlich wollüstige Instinkte angenehm
    berührt waren. »So kommt das immer!«
    Poisson war erschüttert, entgeistert; und er
    fand kein Wort, um den Kaiser zu verteidigen.
    Es stand in einem Buch, er konnte es nicht in
    Abrede stellen. Da entfuhr ihm, weil ihm
    Lantier die Abbildung immer noch mit
    spöttelnder Miene unter die Nase schob,
    folgender Schrei, wobei er die Arme krumm
    machte:
    »Na und? Liegt das denn nicht in der
    menschlichen Natur?«
    Durch diese Antwort wurde Lantier das Maul
    gestopft. Er ordnete seine Bücher und
    Zeitungen auf einem Brett des Schrankes; und
    da er untröstlich zu sein schien, daß er kein
    kleines Bücherbrett hatte, das über dem Tisch
    hing, versprach Gervaise, ihm eins zu
    besorgen. Er besaß »Die Geschichte der zehn
    Jahre«65 von Louis Blanc mit Ausnahme des
    ersten Bandes, den er übrigens nie gehabt
    hatte, »Die Girondisten« von Lamartine66 in
    Lieferungen zu zwei Sous, »Die Geheimnisse
    von Paris«67 und den »Ewigen Juden«68 von
    Eugène Sue, nicht mitgerechnet einen Haufen
    philosophischer und menschheitsbeglückender
    Schmöker, die er bei den Trödlern aufgelesen
    hatte. Aber vor allem seine Zeitungen umfing
    er mit gerührtem und ehrfurchtsvollem Blick.
    Es war dies eine Sammlung, die er seit Jahren
    angelegt hatte. Jedesmal wenn er im Café in
    einer Zeitung einen gelungenen und seinen
    Anschauungen entsprechenden Artikel las,
    kaufte er die Zeitung und hob sie auf. So besaß
    er von ihnen ein gewaltiges Paket aller Daten
    und Titel, die ohne jede Ordnung aufgestapelt
    waren. Als er dieses Paket unten aus dem
    Koffer herausgenommen hatte, klopfte er
    freundschaftlich obendrauf und sagte zu den
    beiden anderen:
    »Sehen Sie das? Nun, das gehört Papa,
    niemand kann sich schmeicheln, etwas so
    Duftes zu besitzen ... Was da drinsteckt,
    können Sie sich nicht vorstellen. Das heißt,
    wenn man die Hälfte dieser Ideen zur
    Anwendung brächte, so würde das mit einem
    Schlage die Gesellschaft säubern. Ja, Ihr
    Kaiser und alle seine Spitzel würden Wasser
    saufen gehen ...«
    Doch er wurde von dem Polizisten
    unterbrochen, dessen roter Napoleonbart sich
    in seinem bleichen Gesicht bewegte.
    »Und die Armee, hören Sie mal, was machen
    Sie denn mit der?«
    Da brauste Lantier auf. Seinen Zeitungen
    Faustschläge versetzend, schrie er:
    »Ich will die Abschaffung des Militarismus,
    die Brüderlichkeit der Völker ... Ich will die
    Beseitigung der Privilegien, der Titel und der
    Monopole ... Ich will die Gleichheit der
    Löhne, die Verteilung der Gewinne, die
    Glorifizierung des Proletariats ... Alle
    Freiheiten, verstehen Sie, alle! – Und die
    Scheidung!«
    »Ja, ja, die Scheidung, wegen der Moral!«
    betonte Boche.
    Poisson hatte eine majestätische Miene
    aufgesetzt. Er erwiderte:
    »Wenn ich aber Ihre Freiheiten nicht haben
    will, ich bin ja frei.«
    »Wenn Sie sie nicht haben wollen, wenn Sie
    sie nicht haben wollen ...«, stotterte Lantier,
    den die Leidenschaft fast erstickte. »Nein, Sie
    sind nicht frei! – Wenn Sie sie nicht haben
    wollen, dann verfrachte ich Sie eigenhändig
    nach Cayenne69, ja, nach Cayenne, samt
    Ihrem Kaiser und den ganzen Schweinen
    seiner Bande!«
    Bei jeder ihrer Begegnungen gerieten sie so
    aneinander.

    Gervaise,

    die
    Auseinandersetzungen nicht liebte, trat
    gewöhnlich dazwischen. Sie kam aus der
    Benommenheit heraus, in die der Anblick des
    ganz vom verdorbenen Duft ihrer früheren
    Liebe erfüllten Koffers sie versenkt hatte, und
    sie zeigte den drei Männern die Gläser.
    »Das ist wahr«, sagte Lantier, plötzlich
    beruhigt, und ergriff sein Glas. »Auf Ihr
    Wohl.«
    »Auf das Ihre«, erwiderten Boche und
    Poisson, die mit ihm anstießen.
    Boche allerdings wiegte sich, von Besorgnis
    gequält, hin und her und sah den Polizisten
    von der Seite an.
    »Das bleibt doch alles unter uns, nicht wahr,
    Herr Poisson?« murmelte er schließlich. »Man
    zeigt und man sagt Ihnen Dinge ...«
    Aber Poisson ließ ihn nicht ausreden. Er legte
    die Hand aufs Herz, wie um zu erklären, daß
    alles dort bleibe. Er werde bestimmt keine
    Freunde bespitzeln.
    Da Coupeau gekommen war, leerte man eine
    zweite

Weitere Kostenlose Bücher