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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Die Seine führte weite, schmierige
    Wassermassen, alte Korken und
    Gemüseabfälle mit sich, einen Haufen Unrat,
    den ein Strudel einen Augenblick in dem
    unheimlichen, vom Dunkel des Gewölbes ganz
    düster gewordenen Wasser zurückhielt,
    während auf der Brücke das Rollen der
    Pferdeomnibusse und der Droschken
    vorüberzog, das Menschengewühl von Paris,
    von dem man wie vom Grunde eines Loches
    aus zur Rechten und zur Linken nur die
    Dächer gewahrte. Fräulein Remanjou seufzte;
    hätte es hier Laub gegeben, so hätte sie das,
    wie sie sagte, an ein Fleckchen an der Marne
    erinnert, wo sie sich um 1817 mit einem
    jungen Mann erging, den sie noch immer
    beweine.
    Herr Madinier gab jedoch das Zeichen zum
    Aufbruch. Man durchquerte den Jardin des
    Tuileries26 inmitten eines Völkchens von
    Kindern, deren Reifen und Bälle die schöne
    Ordnung der Paar durcheinanderbrachten. Als
    die Hochzeitsgesellschaft dann, auf dem Place
    Vendôme angekommen, die Säule betrachtete,
    war Herr Madinier darauf bedacht, den Damen
    eine Aufmerksamkeit zu erweisen; er bot
    ihnen an, in der Säule nach oben zu steigen,
    um sich Paris anzusehen. Sein Anerbieten
    schien sehr spaßig zu sein. Ja, ja, man müsse
    hinaufsteigen, darüber würde man lange
    lachen. Im übrigen hatte das etwas Reizvolles
    an sich für Leute, die nie den festen Erdboden
    verlassen hatten.
    »Wenn Sie glauben, daß sich Hinkebein mit
    ihrer Stelze da reinwagt!« murmelte Frau
    Lorilleux.
    »Ich, ich würde gern hinaufsteigen«, sagte
    Frau Lerat, »aber ich will nicht, daß ein Mann
    hinter mir kommt.«
    Und die Hochzeitsgesellschaft stieg hinauf.
    Auf der engen Spirale der Treppe kletterten
    die zwölf hintereinander hinauf, wobei sie
    gegen die ausgetretenen Stufen stießen und
    sich an den Wänden festhielten. Als es dann
    völlig dunkel wurde, lachten sie sich bucklig.
    Die Damen stießen leise Schreie aus. Die
    Herren kitzelten sie, kniffen sie in die Beine.
    Die Damen waren aber schön dumm, das
    auszuplaudern! Da tut man so, als ob es Mäuse
    wären. Übrigens sei das nicht weiter schlimm,
    die Männer wüßten, wo man anstandshalber
    aufhören müßte. Dann fiel Boche ein Scherz
    ein, den die ganze Gesellschaft wiederholte.
    Man rief nach Frau Gaudron, als sei sie
    unterwegs zurückgeblieben, und man fragte
    sie, ob ihr Bauch durchkäme. Stellt euch vor,
    wenn sie dort steckengeblieben wäre, ohne
    hinauf oder hinuntersteigen zu können! Sie
    hätte das Loch versperrt, und nie hätte man
    gewußt, wie man fortkommen sollte. Und man
    lachte über diesen Bauch einer schwangeren
    Frau mit einer fürchterlichen Heiterkeit, die
    die Säule erschütterte. Darauf erklärte Boche,
    der völlig in Fahrt gekommen war, in diesem
    Schornstein werde man ja alt; das nähme wohl
    kein Ende, man ginge wohl bis zum Himmel?
    Und er suchte die Damen zu erschrecken,
    indem er rief, das wackele. Coupeau indessen
    sagte nichts. Er kam hinter Gervaise, hielt sie
    um die Taille gefaßt, fühlte, wie sie sich
    hingab. Als man jäh wieder ins Tageslicht trat,
    war er gerade dabei, sie auf den Hals zu
    küssen.
    »Na, ihr seid ja richtig, tut euch beide nur
    keinen Zwang an!« sagte Frau Lorilleux mit
    entrüsteter Miene.
    RöstfleischBibi schien wütend zu sein. Er
    brummelte immer wieder zwischen den
    Zähnen: »Einen Krach habt ihr gemacht! Ich
    habe nicht einmal die Stufen zählen können.«
    Herr Madinier aber zeigte auf der Plattform
    bereits die Baudenkmäler. Frau Fauconnier
    und Fräulein Remanjou wollten auf keinen
    Fall aus der Treppe heraustreten; der bloße
    Gedanke an das Pflaster unten brachte ihnen
    das Blut zum Gerinnen. Und sie begnügten
    sich damit, Blicke durch die kleine Tür zu
    wagen. Frau Lerat, die verwegener war,
    machte einen Rundgang auf der schmalen
    Plattform und schmiegte sich dabei an die
    längliche Bronzekuppel. Es war doch
    immerhin furchtbar aufregend, wenn man
    bedachte, daß man bloß mit einem Bein
    abzurutschen brauchte. Was für ein
    Purzelbaum, gottverdammt noch mal! Die
    Männer, die ein wenig blaß geworden waren,
    betrachteten den Platz. Man hätte meinen
    können, man sei in der Luft, losgelöst von
    allem. Nein, dabei wurde einem entschieden
    kalt bis in die Knochen. Herr Madinier riet
    jedoch, den Blick zu heben und ihn geradeaus
    in die Ferne zu richten; das verhindere, daß
    man schwindlig werde. Und er fuhr fort, mit
    dem Finger auf das Hôtel des Invalides27, das
    Panthéon28, die NotreDameKathedrale, den
    Turm SaintJacques

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