Der Todschlaeger
dem
Morgen bei ihrem fünfunddreißigsten
Männerhemd angelangt.
»Immer Wein, niemals Rachenputzer!« sagte
auf einmal der Bauklempner, der das
Bedürfnis verspürte, diese Erklärung
abzugeben. »Bei Rachenputzer wird mir
schlecht, brauche keinen!«
Clémence nahm ein Bügeleisen mit einem mit
Blech eingefaßten Ledergriff von der
Maschine und näherte es ihrer Wange, um sich
zu vergewissern, ob es heiß genug war. Sie
streifte es auf ihrem Untersatz ab, wischte es
an einem an ihrem Gürtel hängenden Tuch ab
und nahm ihr fünfunddreißigstes Hemd in
Angriff, indem sie zuerst den Einsatz und die
beiden Ärmel plättete.
»Ach was, Herr Coupeau«, sagte sie nach
einer Minute, »ein Gläschen Rattengift, das ist
nicht übel. Mir gibt das Schwung ... Und dann,
wissen Sie, je schneller man drauf geht, um so
drolliger ist es. Oh, ich mache mir nichts vor,
ich weiß, daß meine Knochen nicht alt
werden.«
»Sie sind ja unausstehlich mit Ihren
Beerdigungsgedanken!« unterbrach sie Frau
Putois, die traurige Gespräche nicht leiden
konnte.
Coupeau war aufgestanden und wurde böse,
weil er glaubte, man beschuldige ihn, Schnaps
getrunken zu haben. Er schwor bei seinem
Kopf, beim Kopf seiner Frau und seines
Kindes, er habe nicht einen Tropfen Schnaps
im Leibe. Er trat an Clémence heran und
hauchte ihr ins Gesicht, damit sie es riechen
sollte. Als er seine Nase dann über ihren
nackten Schultern hatte, begann er zu feixen.
Er wollte nachsehen. Nachdem Clémence den
Rücken des Hemdes gefaltet und von beiden
Seiten kurz übergebügelt hatte, war sie nun bei
den Manschetten und beim Kragen. Da er sich
jedoch immer noch an sie herandrängte,
machte sie durch seine Schuld eine falsche
Falte, und sie mußte die Bürste vom Rand des
tiefen Tellers nehmen, um die Stärke wieder
glattzustreichen.
»Madame!« sagte sie. »Hindern Sie ihn doch
daran, daß er so hinter mir her ist!«
»Laß sie in Ruhe, du bist unvernünftig«,
erklärte Gervaise ruhig. »Wir haben es eilig,
verstehst du?«
Eilig hätten sie es, na und? Das sei ja nicht
seine Schuld. Er tue nichts Böses. Er fasse ja
nicht an, er gucke bloß hin. Sei es denn nicht
mehr erlaubt, sich die schönen Dinger
anzugucken, die der liebe Gott geschaffen hat?
Sie hätte immerhin verdammte Mäuschen,
diese tolle Person, die Clémence! Sie könne
sich für zwei Sous sehen und betasten lassen,
niemandem würde es um sein Geld leid tun.
Die Arbeiterin wehrte sich jedoch nicht mehr,
lachte über diese höchst rohen Komplimente
des angetrunkenen Mannes. Und sie ließ sich
darauf ein, mit ihm zu scherzen.
Er zog sie wegen der Männerhemden auf. Sie
stecke wohl immer in Männerhemden?
Allerdings, sie lebe darin. Ach, du lieber Gott,
sie kenne sie genau, sie wisse, wie so was
beschaffen sei. Durch ihre Hände seien ja
Hunderte und aber Hunderte gegangen! Alle
blonden und alle braunen Männer aus dem
Viertel trügen etwas von ihrer Arbeit auf dem
Leibe. Dabei arbeitete sie weiter, die Schultern
von ihrem Lachen geschüttelt. Sie hatte fünf
große Falten auf der Innenseite des Rückens
angebracht, indem sie mit dem Eisen durch die
Brustöffnung fuhr; sie schlug die Vorderseite
zurück und legte sie ebenfalls mit breiten
Strichen in Falten.
»Da, das ist das Panier!« sagte sie und lachte
noch lauter. Augustine, diese Schielliese,
platzte los, so komisch kam ihr das Wort vor.
Man schalt sie aus. So eine Rotznase, die über
Worte lachte, die sie gar nicht verstehen
durfte!
Clémence reichte ihr ihr Eisen; das
Lehrmädchen brauchte die Eisen an ihren
Wischtüchern und Strümpfen auf, wenn sie für
die gestärkten Stücke nicht mehr heiß genug
waren. Aber nach diesem griff sie so
ungeschickt, daß sie sich eine »Manschette«,
eine lange Brandwunde am Handgelenk,
zuzog. Und sie schluchzte, sie beschuldigte
Clémence, sie absichtlich verbrannt zu haben.
Die Arbeiterin, die ein sehr heißes Eisen für
das Vorderteil des Hemdes geholt hatte,
tröstete sie sofort, indem sie ihr drohte, sie
werde ihr beide Ohren bügeln, wenn sie
weiterheule. Unterdessen hatte sie ein Stück
Wollstoff unter das Vorhemd gesteckt; sie
schob das Eisen langsam vorwärts und ließ der
Stärke Zeit, herauszuquellen und zu trocknen.
Die Hemdbrust nahm die Steifheit und den
Glanz starken Papiers an.
»Verdammtes Weibsbild!« fluchte Coupeau,
der mit der Hartnäckigkeit eines Betrunkenen
hinter ihr herumtappte. Er reckte
Weitere Kostenlose Bücher