Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter
Rücken des Mannes. Dort hingen mehr als zwanzig leuchtende Uhren, die langsam ihre Farbe wechselten. Unter jeder Uhr sah Simon eine geschlossene Aufzugtür. Lichter blinkten auf den Anzeigetafeln zwischen den Türen.
Der Wachmann war aufgestanden, er starrte zu ihnen herüber und wirkte genauso überrascht wie Simon und Ira. »Wie habt ihr das gemacht?«, fragte er, während er um den Tresen herumging und auf sie zu kam.
Simon beobachtete den näher kommenden Mann genau.Dann erkannte er ihn: Es war der gleiche Wachmann, der ihn am Tag zuvor weggeschickt hatte. Kurz überlegte er, ob es vielleicht besser war, wegzurennen. Doch der Wachmann schien nicht ärgerlich zu sein, nur vollkommen verblüfft. Offenbar geschah es nicht oft, dass sich die Wand vor ihm öffnete.
Er wiederholte seine Frage. »Wie habt ihr das hingekriegt, dass sich das Tor öffnet?«
Simon zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich habe nur meine Hände auf die Fassade gelegt.«
»Unglaublich.« Der Wachmann betrachtete Simon wie ein seltenes Tier. »Und was wollt ihr hier?«
»Was ist das für ein Gebäude? Können wir uns mal umschauen?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Besser, ihr verschwindet. Bevor ihr noch Ärger bekommt.«
Ira zupfte an Simons Ärmel. »Komm, lass uns abhauen.« Sie sah ängstlich aus.
Im gleichen Augenblick summte das Funkgerät des Wachmannes, es ragte aus der Brusttasche seiner Uniform heraus. Simon war es vorher nicht aufgefallen. Der Wachmann holte es hervor und hielt es sich an sein Ohr. »Ja?«
Eine leise Stimme war zu hören, Simon konnte nicht verstehen, was sie sagte.
»Es sind zwei Jugendliche, ein Junge und ein Mädchen«, antwortete der Wachmann. »Der Junge sagt, er hat das Tor geöffnet.«
Die Stimme aus dem Funkgerät zischelte, während der Wachmann zuhörte. Sein Gesicht verzog sich überrascht. »Aber …«Er verstummte und horchte wieder, warf Simon einen erstaunten Blick zu. Schließlich nickte er. »Ja, ich habe verstanden.« Und er steckte das Funkgerät zurück in seine Tasche.
Simon musterte ihn misstrauisch. Ihm gefiel der Gesichtsausdruck gar nicht, mit dem der Wachmann ihn ansah.
»Ihr könnt euch gerne umsehen und euch alles anschauen.« Der Wachmann trat einen Schritt zur Seite und wies einladend in die Halle. Seine Stimme klang freundlich. Doch etwas in seinem Blick ließ Simon zögern. Und dann sah er es: Unmerklich schüttelte der Wachmann den Kopf, und sein Mund formte drei lautlose Worte, Simon musste sie von den Lippen ablesen. »Haut ab! Schnell!«
Er stutzte. Hatte er richtig gelesen?
Der Wachmann wiederholte seine freundliche Einladung, aber sein Blick blieb angespannt.
Simon tastete nach Iras Hand. Langsam wichen sie zurück.
Im gleichen Moment wechselten die Uhren an der Wand ihre Farbe, sie wurden rot, so wie auch die Lichter im Boden rot aufglühten. Die Aufzugtüren öffneten sich, Männer stürzten heraus, es waren Soldaten in silbergrauen Kampfanzügen, sie trugen Helme mit verspiegelten Visieren. Auch in den Seitenwänden der Halle hatten sich Türen geöffnet, von dort kamen ebenfalls Soldaten auf sie zugerannt.
Ira reagierte als Erste, sie drehte sich um und rannte los. Simon folgte ihr. Er stolperte, spürte eine Hand, Ira half ihm hoch. Gemeinsam hasteten sie durch das Tor aus der Halle hinaus, um den Soldaten zu entkommen. Aber die uniformierten Männer waren überall. Sie kamen aus Türen, die sich imTurm geöffnet hatten, und verteilten sich auf der freien Fläche vor dem Gebäude, um ihnen den Fluchtweg abzuschneiden. Panisch sah Simon sich um. Es gab keine Möglichkeit, zu entkommen, die Soldaten hatten sie eingekreist. Schnell kamen die Männer näher.
»Hilfe!« Simon schrie in seiner Verzweiflung. »Hilfe!« Auch Ira schrie. Irgendjemand musste sie doch bemerken, irgendwer musste doch sehen, was hier geschah. Doch die Menschen auf dem Platz beachteten sie nicht. Es war, als würde das, was gerade passierte, keinen interessieren.
»Es tut mir leid.« Der Wachmann war ihnen nachgekommen, er sah Simon und Ira mitleidig an. Dann legte er sich auf den Boden, schloss die Augen und bedeckte schützend seinen Kopf mit den Armen.
Simon starrte ihn entsetzt an. Noch einmal schrie er um Hilfe, vergeblich, niemand hörte ihn. Er spürte Iras Hand, sie klammerte sich an die seine. Die Soldaten kamen immer näher. Simon spürte eine eisige Kälte, sie kam von allen Seiten auf sie zu, eine Welle, die heranrollte und über ihnen
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