Der Tote im Grandhotel
die nach 1946 von der SED ent-eignet und für ihre Zwecke als Gästehäuser oder Hotels für die No-menklatur genutzt worden waren. Jetzt gab es wieder neue Eigen-
tümer. Ein weites Feld.
Der Beamte machte präzise Angaben, und Wedel brach unverzüg-
lich auf. Mady Saparonsky nahm er mit. Schließlich oblag ihm
a) ihre Ausbildung, und war es b) auch nicht übel, eine hübsche Frau in der Nähe zu haben. Selbst wenn es eine von der vorlauten Sorte war.
Auf einmal klappte es auf der ganzen Linie. Die Beamten, die mit der Verfolgung der Verdächtigen betraut waren, stellten fest, daß die Lieferwagen keineswegs nur Ware zu einschlägigen Geschäften brachten.
Jetzt, zum Monatsende, suchten ihre Fahrer vielmehr, immer zu
zweit und vorwiegend im Ostteil Berlins und seiner brandenbur-
gischen Umgebung, in den Abendstunden diverse Etablissements
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auf, wobei sie nicht lieferten, sondern ganz offenbar Schutzgelder kassierten: Kneipen, Spielsalons, Eßlokale.
Aber auch am hellichten Tage betraten sie Boutiquen, Bräunungs-
studios und Frisiersalons, wo sie sich weder die Haare schneiden noch den Teint auffrischen, geschweige denn ein Dreß verpassen
ließen. Sie kamen vielmehr stets nach kurzer Zeit wieder heraus. Es gab also keinerlei Schwierigkeiten. Und zweimal – ein Spielsalon, ein Animierladen – war ein Angeber dabei, der aussah wie ein Film-star.
Na also! Wedel spürte deutlich, wie er in Topform geriet. Seine Laune hob sich wie eine Rakete. Er hatte den roten Faden in der Hand. Aber Bäume wachsen nicht in den Himmel. Inzwischen gab
es diesen neuen Mord.
10. Kapitel
ls Moritz Mach den Brief in den Kasten geworfen hatte, packte
Aihn die Angst. Er starrte wie gebannt auf den Briefschlitz und wünschte, er könne alles rückgängig machen.
Wie besinnungslos stand er da, bis eine Frauenstimme neben ihm
ihn in die Wirklichkeit zurückholte.
»Darf ich mal? Oder bewachen Sie da was Bestimmtes?«
»Entschuldigung!«
Moritz trat beiseite. Jawohl, meine Dame, ich bewache hier was
Bestimmtes. Etwas, das mir viel Geld einbringen soll. Er trottete davon.
Den Erpresserbrief an Richard Hornung hatte er spontan ge-
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schrieben. Jetzt stand er plötzlich vor dem Problem: Wie sollte es weitergehen?
Würde Herr Hornung den Briefschreiber ignorieren? Anzeigen?
Oder würde er die Annonce in die Zeitung setzen? Harry, unser Boot ist da. Melde dich.
Wenn Herr Hornung anbiß, mußte man es sehr klug anfangen,
damit man sich nicht selber ans Messer lieferte. Es wäre nicht gut, die Summe irgendwo hinterlegen zu lassen. Dann käme die Polizei aus dem Hinterhalt, und alles wäre gelaufen.
Nein, es mußte einen persönlichen Kontakt geben. Herr Hor-
nung durfte ihn nicht erkennen und würde ihn später nicht identifizieren können. Der sollte ihm das Geld geben und fertig. Für einen so reichen Mann waren zehntausend Mark doch gar keine Sum-
me.
Kein weiteres Wort mehr davon. Nichts zum Kommissar, nichts
zu Frau Hornung. Ehrenwort, Herr Hornung, würde Moritz sagen.
Wenn Hornung ihn nun aber doch anzeigte? Wenn sie den ar-
men kleinen Moritz fingen? Dann ade, Hotelkarriere, Zukunft, einfach alles ade. Tante Charlotte würde sehr sauer sein. Es war ein bißchen kindisch gewesen, diesen Brief zu schreiben. Aber je mehr Moritz darüber nachdachte, desto sicherer wurde er: Herr Hornung würde den Brief einfach ignorieren. Wenn jetzt nichts weiter passierte, war es, als wäre der Brief nie geschrieben worden.
Der Gedanke beruhigte Moritz. Er versah seinen Dienst in bester Laune. Abends in seiner Wohnung fühlte er sich wieder richtig
wohl. Er liebte sein kleines Heim. Und er kochte sich Spaghetti Bo-lognese, die er besonders gern aß.
Nachts erwachte er mit einem Ruck. Er war schweißgebadet. Wie
heller Rauch stand ihm ein Spruch vor Augen: Wer wagt, gewinnt.
Warum nicht? Warum sollt er es nicht tun? Warum nicht die
Chance wahrnehmen, die er schon vorbereitet hatte? Taten das
nicht alle Erwachsenen, die er kannte?
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Am nächsten Morgen wollte er davon nichts mehr wissen. Heiß,
kalt, heiß, kalt. Wechselbad der Gefühle. Es war ein Sonntag, aber Sonntage waren für Hotelpersonal keine arbeitsfreien Tage. Moritz hatte jedoch erst gegen Abend Dienst. Er zog eilig den Joggingan-zug über und rannte hinunter zum Zeitungskiosk, wo er die Mor-
genpost kaufte.
Er lief sofort zurück. Schon im Hausflur versuchte er in der dicken Zeitung den Anzeigenteil zu finden, aber er war zu aufgeregt.
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