Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
dass er dort nur in gebückter Haltung vorankam. Er zögerte nicht lange und setzte seinen Weg durch den Gewölbegang fort.
Plötzlich zuckte er zusammen. Er hatte ein Geräusch gehört. Es kam eindeutig aus der Richtung, in die er seine Schritte lenkte. Noch einmal zögerte er.
Da war es wieder. Ein Stöhnen. Hier unten befand sich jemand! Ein Mensch? LaBréa war aufs Höchste alarmiert. Er deckte das Licht der Taschenlampe mit der Hand ab und bewegte sich vorsichtig weiter. Nach wenigen Schritten spürte er eine Berührung an seinem Bein und blieb abrupt stehen. Etwas huschte über den Boden und verschwand in einer Spalte des Mauerwerks. Eine Ratte?
LaBréa schlich weiter. Erneut vernahm er das Stöhnen. Es klang, als hätte jemand starke Schmerzen.
Wieder machte der Gang eine Biegung und wurde sehr viel breiter. Im nächsten Moment sah es LaBréa.
Auf der nackten Erde, dicht an der Mauer des Gangs, lag tatsächlich ein Mensch. LaBréas Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er trat vorsichtig näher und beugte sich über die Gestalt. Der Lichtstrahl seiner Taschenlampe fiel auf das Gesicht.
Es war Chantal Coquillon.
Die Haare hingen ihr wirr über die Stirn. Sie hatte die Augen geschlossen und stöhnte. LaBréa bemerkte eine Schürfwunde auf ihrer Wange. Das Blut war bereits verkrustet.
Es sah dunkel und schmutzig aus. Das helle, langärmelige Hemd, das die Frau des Schauspielers trug, war an der Schulter eingerissen.
Wie kam sie hierher? Was hatte man mit ihr gemacht?
Vorsichtig berührte LaBréa sie am Arm. Der Stoff ihres Hemdes fühlte sich klamm an.
»Madame Coquillon? Können Sie mich hören?«
Erneut ein Stöhnen, aber keine Bewegung.
»Wie kommen Sie hierher? Was ist passiert?«, fragte LaBréa leise und eindringlich.
Ein undefinierbares Lallen drang aus dem Mund der Frau und erstarb sogleich wieder. Sie öffnete kurz die Augen, doch ihr Blick war vollkommen erloschen.
LaBréa leuchtete den Boden um sie herum ab. An der Wand entdeckte er eine leere Kanüle. Rasch untersuchte er den linken Arm von Chantal; dort war ein frischer Einstich zu sehen. Irgendjemand hatte ihr etwas gespritzt. Eine Droge? Ein Beruhigungsmittel? Ein tödliches Gift, das langsam wirken würde?
LaBréa rüttelte an ihrer Schulter.
»Madame Coquillon! Hören Sie mich?«
Diesmal kam nicht einmal mehr ein Stöhnen aus ihrem Mund.
Vorsichtig zog LaBréa mit dem Zeigefinger das rechte Augenlid der Frau zurück. Die Pupille blickte starr. LaBréa fühlte ihren Puls. Er war sehr schwach. Sie lebte noch, aber offenbar hatte sie jetzt das Bewusstsein verloren.
Fieberhaft überlegte er, was zu tun war. Hier lag ein Mensch in einem unterirdischen Gang in völliger Dunkelheit, dem auf irgendeine Weise Gewalt angetan worden
war. Er musste Hilfe holen, ganz gleich, ob dadurch die geplante Aktion im Kloster gefährdet wurde.
Er holte sein Handy aus der Tasche und hoffte inständig, dass es diesmal funktionierte.
Umsonst. Auf dem Display las er die Meldung »Kein Funksignal«.
LaBréa stieß einen leisen Fluch aus. Es gab nur eine Möglichkeit, Chantal Coquillon zu helfen.
Er musste so schnell wie möglich herausfinden, wo dieser Geheimgang endete.
Während Claudine und Fracasse in den Ostflügel des Klosters vordrangen, um die dort gelegenen Räume unter die Lupe zu nehmen, gingen Franck und Schumann über einen langen Korridor in den Westflügel.
Sie merkten bald, dass dies ein stillgelegter Trakt war. Vereinzelt hatte man die Türen zugemauert. Diejenigen Räume, die zugänglich waren, enthielten nur altes Gerümpel. Möbelstücke aus vergangenen Zeiten, fleckige Matratzen, zusammengerollte Teppiche. An einigen Fenstern fehlten die Scheiben. Sie waren stattdessen mit Brettern vernagelt oder mit einem verwitterten Holzladen zugesperrt.
Ein Geruch nach Staub, Mäusekot und muffigem Inventar lag in der Luft. Hier wohnte niemand mehr. Eine dicke Staubschicht hatte alles überzogen. In einem der Räume nisteten Tauben, die durch ein Loch im Gemäuer ein- und ausfliegen konnten.
Die Stimmung in diesem Trakt des alten Klosters, den anscheinend schon lange kein Mensch mehr betreten hatte, schien ein wenig unheimlich. Selbst Franck, dessen Angstschwelle
praktisch bei null lag, verspürte ein mulmiges Gefühl.
Der Regen prasselte aufs Dach. Immer noch hatte das Gewitter sich nicht verzogen. Blitze zuckten durch die Nacht. Jetzt gab Francks Taschenlampe den Geist auf. Er nahm die Batterien heraus, rieb mit dem Finger über die
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