Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
Métro.
»Ich komme gleich nach der Sendung nach Hause. Wenn du Lust hast, können wir dann ja noch was essen gehen.«
»Gibt es denn kein Fest?«, fragte Véra erstaunt. »Obwohl es die hundertste Sendung ist?«
»Doch. Aber nur für Ribanvilles Promifreunde. Für das Team erst nächste Woche. Hatte ich dir das nicht erzählt?«
»Kann sein, dass ich es vergessen habe. Also Michel, dann Hals- und Beinbruch für eure Sendung! Sei nicht böse, aber ich seh sie mir nicht an. Du weißt, was ich davon halte. Bis später, ich freu mich auf dich!«
Michel steckte das Handy ein und lächelte. Mit Véra hatte er das große Los gezogen. Er liebte sie, und weil das so war, nahm er ihr nicht übel, dass sie die Sendung Ribanville fragt nicht mochte. Er selbst hatte ja auch ein gespaltenes Verhältnis dazu. Doch sie war das Sprungbrett für seine Karriere beim Fernsehen. Und wie hieß es so schön? Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
5. KAPITEL
E s war kurz vor sechzehn Uhr, als LaBréa der Anruf aus dem Gerichtsmedizinischen Institut erreichte.
»Kannst du gleich herkommen?«, fragte Brigitte Foucart.
»Warum? Irgendwelche sensationellen Erkenntnisse?«
»Kann man wohl sagen.«
»Mach’s nicht so spannend, Brigitte.«
»Nicht am Telefon! Sieh es dir am besten selbst an.«
LaBréa stöhnte ergeben, legte den Hörer auf und wählte Jean-Marcs Festnetznummer im Mitarbeiterbüro.
»Fahren Sie allein zum Schifffahrtsamt«, sagte er. »Ich muss in die Gerichtsmedizin.«
Er stand auf, schnappte sich sein Jackett und verließ sein Büro. Seit knapp zwei Stunden war die Talkrunde beendet. Er und seine Mitarbeiter hatten unverzüglich mit den Ermittlungen beginnen wollen, doch aufgrund eines Defektes an einem Hauptstrang des Glasfaserkabels war das Internet im gesamten Polizeipräsidium lahmgelegt. Die Techniker vermuteten zunächst einen Hacker-Angriff. Dieser Verdacht stellte sich bald als unbegründet heraus. Auch in den Kommissariaten einzelner Arrondissement war der Zugang zum Internet blockiert. Recherche mittels Computer war demnach vorerst unmöglich. Seit geraumer Zeit versuchten Claudine und Franck übers Telefon die zentrale Vermisstenstelle zu erreichen, doch dort waren sämtliche
Leitungen besetzt. LaBréa und der Paradiesvogel hatten sich mit dem Schifffahrtsamt in Verbindung gesetzt. Nun würde Jean-Marc den Termin dort um siebzehn Uhr allein wahrnehmen. Hoffentlich fand er vorher noch Zeit, sein sommerliches Strandoutfit gegen einigermaßen normale Kleidung einzutauschen.
Im Treppenhaus begegnete LaBréa seinem Vorgesetzten, Direktor Roland Thibon, der aus dem obersten Stockwerk kam, wo sein Büro lag. In der Hand hielt er einen Blumenstrauß. LaBréa sah, dass er in Eile war. Gegen Mittag hatte er ihn vom Fund der Wasserleiche unterrichtet.
»Und? Schon irgendwas Neues?«, fragte Thibon und musterte LaBréa, als er ihn auf der Treppe eingeholt hatte.
»Noch nicht, Monsieur. Im Moment ist das Internet lahmgelegt.«
»Ich weiß.« Thibon blickte auf die Uhr und öffnete kurz den Mund, als wollte er noch etwas hinzufügen. Einen seiner sinnreichen Sprüche vielleicht? Doch diesmal verschonte er LaBréa und lief weiter.
»Wie geht es Ihrer Frau?«, rief LaBréa ihm nach.
»In ein paar Tagen wird sie aus dem Krankenhaus entlassen. Aber die Reha wird wohl eine Weile dauern.« Es klang unwirsch.
War er auf dem Weg zu ihr? Oder brachte er den Blumenstrauß seiner jungen Freundin? Es war allgemein bekannt, dass Thibon eine Geliebte hatte, die er oft auch tagsüber besuchte. Er entschwand durch den Haupteingang, wo vermutlich sein Dienstwagen wartete. Wegen seiner geplatzten Urlaubspläne war Thibons Laune in letzter Zeit
noch schlechter als sonst, und jeder in der Abteilung ging ihm möglichst aus dem Weg.
Der dunkelblaue Renault stand in der Tiefgarage des Präsidiums. Sofort stellte LaBréa die Klimaanlage auf volle Touren und fuhr über den Pont au Change Richtung Quai de l’Hôtel de Ville. Das Gerichtsmedizinische Institut befand sich im Elften Arrondissement zwischen der Gare d’Austerlitz und der Gare de Lyon direkt am rechten Seineufer beim Quai de la Rapée. Eine Viertelstunde später stellte LaBréa den Wagen ab und eilte über den gleißenden Asphalt des Parkplatzes ins Gebäude.
Schon im Eingangsbereich empfing ihn dieser unverwechselbare Geruch. In all den Jahren hatte LaBréa sich nicht daran gewöhnt. Er hatte wenig zu Mittag gegessen, nur ein trockenes Käsesandwich aus der Kantine des
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