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Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a

Titel: Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Grote
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Schreibtisches. Dort bewahrte ihr Mann sein Tagebuch auf. Vor etwa sechs Jahren hatte er es angelegt, nachdem er vorher nie eins geführt hatte. Es war kein gewöhnliches Tagesbuch. Kein dickes Heft, keine Kladde, kein schön gebundenes Designerexemplar. Ein schweres, klobiges Ding, mit festem Ledereinband und Eisenbeschlägen an den Ecken. Wie ein historisches Buch aus dem Mittelalter. Doch es war kein antikes Stück. Es schien, als wäre es eigens für ihn angefertigt worden, denn auf der Außenseite waren Yves’ Initialen in altertümlich geschwungenen Lettern in den Ledereinband geprägt. Das Buch war mit einer Verschlussschnalle aus Metall versehen. Candice wusste, dass Yves den Schlüssel dazu an seinem Schlüsselbund trug. Dieser war von der Polizei am Tatort im Ritz sichergestellt und noch nicht an sie ausgehändigt worden.
    Sie hatte das Buch vor einem halben Jahr zufällig entdeckt. Es lag auf Yves’ Schreibtisch, und sie hatte gefragt, was das war.
    »Ein Tagebuch«, hatte er geantwortet. »Ich mache mir Notizen über meine Sendungen, Anmerkungen zu den Leuten, mit denen ich zu tun habe. Als Materialsammlung, wenn ich später mal meine Memoiren schreibe.«

    Sie hatte sich damit zufriedengegeben und sich nur gewundert, wieso es ein so extravagantes Tagebuch sein musste? Und wieso es mit einem Schloss gesichert war, dessen Schlüssel Yves ständig bei sich trug? Da ihr Mann jedoch noch andere skurrile Angewohnheiten hatte, machte Candice sich weiter keine Gedanken darüber.
    Jetzt war Yves tot, und niemand konnte ihr verwehren, seine Aufzeichnungen zu lesen. Handelte es sich wirklich nur um eine Materialsammlung für seine Memoiren? Candice zweifelte plötzlich daran.
    Entschlossen nahm sie den schweren Brieföffner, der auf dem Schreibtisch lag, und schob ihn unter den Verschluss. Nach mehreren kräftigen Hebelbewegungen sprang das Schloss auf.
    Sie setzte sich hinter Yves Schreibtisch und schlug die erste Seite auf. Sie überflog die Zeilen und blätterte dann rasch weiter. Lähmendes Entsetzen ergriff von ihr Besitz. Sie lehnte sich zurück, ihre Hände zitterten, und alles Blut wich aus ihrem Gesicht.
    »Oh mein Gott«, flüsterte sie und spürte, wie ihr Herz in der Brust hämmerte. Ihr war klar, dass sie dieses Tagebuch sofort der Polizei übergeben musste. Doch gleichzeitig wusste sie, dass sie das niemals tun würde.
    Denn danach wäre nichts mehr so, wie es einmal gewesen war.

12. KAPITEL
    E ine Talkrunde um diese Uhrzeit hatte es noch nie gegeben, seit LaBréa aus Marseille zurück nach Paris gekommen war. Fünf Uhr morgens. Kein Telefon, keine Hektik um diese frühe Stunde. Niemand würde an die Tür klopfen. LaBréa und sein Team waren zunächst einmal ganz allein im Gebäude.
    Der Duft von starkem Kaffee hing im Raum. LaBréa hatte die Fenster seines Büros weit geöffnet, in der Hoffnung auf ein kühles Lüftchen, bevor die Sonne aufging und ihre Hitzeglocke über die Stadt stülpte. Jean-Marc schenkte den Kaffee ein. Seit wenigen Wochen gab es in der Abteilung eine elektrische Kaffeemaschine, für die alle Mitarbeiter Geld gesammelt hatten. Der hauseigene Kaffeeautomat, dessen Instantkaffee bitter und nach Chemie schmeckte, gehörte damit endlich der Vergangenheit an. Die Croissants und Brioches aus der Bäckerei am Boulevard Sébastopol lagen auf einem Teller in der Mitte des Konferenztisches. Alle bedienten sich. Die Nachtschicht im Hotel Ritz hatte sie hungrig gemacht.
    Zwei Mordfälle, zwei voneinander unabhängige Ermittlungen. Im Fall des Jungen aus der Seine gab es keine neuen Erkenntnisse. Jean-Marc würde am Vormittag zur Maison de Dieu fahren, um sich dort ein wenig umzusehen und zu recherchieren. Von Brigitte Foucart und den Kriminaltechnikern
erwartete LaBréa weitere Laboranalysen. Um halb neun, wenn Ermittlungsrichter Couperin seinen Dienst antrat, wollte LaBréa ihn über den Mord an Ribanville informieren.
    »Und die Presse, Chef?«, fragte Claudine mit vollem Mund. »Die werden uns die Tür einrennen.«
    »Darum soll sich der Schöngeist kümmern. Ich nehme an, er plant mittags eine Pressekonferenz. Vielleicht wissen wir bis dahin mehr. Franck, setzen Sie ein paar Kollegen der Abteilung zwei an die Telefonlisten von Ribanvilles Festnetz- und Handyanschlüssen.«
    »Welcher Zeitraum, Chef?«
    »Vorerst die letzten vier Wochen.« LaBréa leerte seinen Kaffeebecher und stand auf. Er ging zu der großen Brainstorming-Tafel an der Wand neben seinem Schreibtisch. Ein frischer

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