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Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a

Titel: Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Grote
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frühen Morgenstunden und im Zustand ihrer unverhofften Witwenschaft brauchte sie einen kräftigen Schluck. Auf eigenartige Weise hatte Yves Tod ein Gefühl tiefer Verletztheit in ihr ausgelöst. Es war weniger Trauer, die von ihr Besitz ergriffen hatte, denn die Liebe zu Yves war im Lauf der Jahre versiegt wie ein Rinnsal im sandigen Flussbett. Nein, nachdem der erste Schock überwunden war, sah Candice jetzt mit klarem Blick, in welcher Lage sie sich befand. Ihr Name würde in der Zeitung breitgetreten. Das Fernsehen würde seine Reporterteams vor dem Haus postieren. Empörung und eine leise Wut stiegen in ihr auf. In einem Winkel ihres Herzens machte sie ihren Mann für seinen gewaltsamen Tod verantwortlich. Wie hatte Yves so etwas nur passieren können? Welcher Mensch hatte Interesse daran gehabt, ihn auf so brutale Weise zu beseitigen?
Dass Yves von einem Unbekannten umgebracht worden war, ein Zufallsmord, daran glaubte Candice keine Sekunde. Er musste seinen Mörder gekannt haben, auf die eine oder andere Weise. Und es musste einen Grund gegeben haben, weshalb er sterben musste. Ganz tief in einem Winkel ihres Herzens erahnte sie diesen Grund. Doch sie durfte jetzt nicht darüber nachdenken.
    Candice goss sich Whisky nach. Ihre Schulterblätter waren angespannt, ihr Nacken versteift. Ein Gefühl der Furcht ergriff plötzlich Besitz von ihr. Irgendjemand würde jetzt den Spaten auspacken und in Yves Leben herumgraben. Wenn nicht der Commissaire, dann einer aus der Meute der Journalisten.
    Candice seufzte und versuchte, die ängstlichen Gedanken zu ersticken. Sie musste einen klaren Kopf behalten, damit sie die nächsten Tage mit allem, was auf sie einstürzen würde, überstand. Als Erstes würde sie gleich morgen früh Pater Matthieu von der Kirchengemeinde St. Philippe du Roule anrufen. Sie wollte eine Messe für Yves lesen lassen und die Modalitäten seines Begräbnisses besprechen. Ein Requiem, das schien angesichts des Bekanntheitsgrades ihres Mannes angebracht. Das Requiem von Gustave Fauré, das Yves besonders geliebt hatte. Libera me, Domine, de morte aeterna, in die illa tremenda quando coeli movendi sunt et terra … Erlöse mich, o Herr, von ewiger Finsternis, wenn Himmel und Erde erzittern …
    Vor ihrer Hochzeit war Candice auf Wunsch ihres Mannes zum Katholizismus konvertiert. Sie selbst entstammte einer Familie von Baptisten. Doch die Liebe zu Yves war damals stärker als der Wunsch, an ihrer eigenen Religion
festzuhalten, stärker als die Bedenken ihrer Familie. Bei den Clarks hatte schon immer das geflügelte Wort vom »falschen katholischen Lächeln« gegolten.
    Candice blickte auf ihre mit Brillanten besetzte Cartier-Uhr. Gleich fünf Uhr früh. In Corpus Christi/Texas war es jetzt einundzwanzig Uhr. Sieben Stunden Zeitunterschied. Sie hatte es lange hinausgeschoben, ihre Familie von Yves Ermordung in Kenntnis zu setzen. Sie ahnte, wie ihr Vater reagieren würde. Er hatte nie viel von Yves Ribanville gehalten und ihr seinerzeit davon abgeraten, ihn zu heiraten. Ihr Vater hatte Recht gehabt. Es wäre besser gewesen, sie hätte Yves nicht das Jawort gegeben. Bald würde sie mit ihren Töchtern in ihre Heimat zurückkehren. Schließlich hatten Lilly und Joëlle von Geburt eine doppelte Staatsbürgerschaft. Sie waren zweisprachig aufgewachsen und in beiden Kulturen zu Hause. In den USA wäre der Skandal, den der gewaltsame Tod eines Prominenten stets nach sich zieht, bald vergessen.
    Ein Neuanfang.
    Yves selbst hatte keine Verwandten mehr. Niemanden, der ihn als Kind oder Jugendlichen gekannt hatte. Aus seiner Vergangenheit wusste sie nicht viel. Eines seiner Geheimnisse war, dass er als junger Mann aus dem Nichts in Paris aufgetaucht war. Ein Mann ohne Schulabschluss und Berufsausbildung, dessen Vergangenheit teilweise im Dunkeln lag. Ein Glückspilz und Selfmademan, der geschickt und zielsicher Verbindungen zu knüpfen wusste und diese für sein Fortkommen nutzte. Nun war er auf dem Gipfel seines Erfolges den schäbigsten aller Tode gestorben, den eines Mordopfers. Wahrlich, ein Sturz aus schwindelnder
Höhe. Candice hatte nicht vor, sich von seinem tiefen Fall mitreißen zu lassen.
    Sie verließ die Küche und ging in Yves Arbeitszimmer, das am anderen Ende der Wohnung lag. Sie knipste kein Licht an, stand nur einen Moment bewegungslos im Raum mit seinen antiken Möbeln und den vielen Dingen, die Yves angesammelt hatte. Nach einem kurzen Zögern öffnete sie die mittlere Schublade seines

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