Der Totengräber (Horror-Roman) (German Edition)
Gräber. Im flackernden Schein war der Name des Toten zu erkennen.
George W. Malcolm.
Der Name war für Brad durchaus ein Begriff.
Malcolm besaß das größte Haus in der Umgebung. Eine Villa am Rand von Willington, idyllisch gelegen mit direktem Blick auf den Long Island Sound und eigenem Bootssteg. Ein reicher Reeder, der sich diesen Palast erbaut hatte, um sich dort zur Ruhe zu setzen. Vor einem halben Jahr war er gestorben, seine Witwe die meiste Zeit auf Reisen und seine erwachsenen Kinder studierten in Berkeley und Oxford.
Der Totengräber entzündete eines der ewigen Lichter, wie Brad und Lana es bereits bei ihm gesehen hatten. Die Flamme loderte in einem grünlichen Glas.
Der Totengräber stellte sie auf den Grabstein.
Er nahm seine Sonnenbrille ab.
Die roten Augen wirkten wie glühende Kohlen. Ein dämonisches Leuchten erfüllte sie. Ein Ausdruck der unheimlichen Kräfte, über die er verfügte.
Er breitete die Arme aus.
Er murmelte Silben vor sich hin. Worte einer unbekannten Sprache vielleicht. „Macanuet Ktesiphan tenembrum!“ Immer wieder wurden diese Worte wiederholt wie eine Mantra-Formel. Die grünlich schimmernde Flamme aus dem ewigen Licht schoss plötzlich bis auf eine Höhe von zunächst zwei Metern empor. Die Stimme des Totengräbers bekam einen durchdringenden, unheimlichen Klang. Brad hatte das Gefühl, sie nicht nur auf akustischem Weg über die Ohren wahrzunehmen, sondern gleichzeitig auch als telepathisches Echo in seinem Kopf. Als er Lanas befremdeten Gesichtsausdruck sah, wusste er, dass es ihr offenbar genauso ging.
Sie hielt sich die Schläfen.
Brad hatte das Gefühl, als drohte ihm der Kopf zu zerspringen. Die emporschießende Flamme, bildete sich zunächst wieder zurück, fiel förmlich in sich zusammen, um nach ein paar Sekunden erneut emporzuschießen – doppelt so hoch wie zuvor. Aus der Flamme wurde eine Lichterscheinung – gleißend hell. Konturen wurden innerhalb der Lichterscheinung sichtbar. Flecken und Linien, die zunächst wie magische Zeichen aussahen, dann aber die Formen eines Gesichts bildeten.
Die Gestalt eines Menschen bildete sich – geisterhaft und durchscheinend wie eine Diaprojektion.
Brads Mund stand offen und er vergaß für einige Augenblicke, ihn wieder zu schließen. Der alte Malcolm!, durchfuhr es ihn. Oder besser gesagt sein Geist…
Die Gedanken rasten nur so durch seinen Kopf. Er dachte an die geisterhafte Erscheinung seines Vaters, die ihm irgendetwas mitzuteilen versucht hatte.
Der Totengräber wiederholte immer wieder dieselben rätselhaften Worte wie in einem Singsang, nur die Tonhöhe veränderte sich dabei.
Dann hörte er abrupt damit auf.
Er griff sich an den Hals, zog ein bronzefarbenes Amulett unter seiner Kleidung hervor und umfasste es. Das Umelett begann durch seine Hand hindurchzuleuchten.
„Sage mir, woran dein Herz hing, George Malcolm!“, rief der Totengräber mit beschwörender Stimme. „Verrate mir, was in deinem Haus an wertvollem ist! Und kehre dann zurück! Macanuet satrembi!“
Der Geist George Malcolms stöhnte auf, dann zog er sich zu einem Lichtball zusammen, der pfeilschnell durch die Nacht schoss und im nächsten Moment verschwunden war.
Der Totengräber schloss die Augen.
Er hielt die Hände an die Schläfen gepresst.
„Es ist nicht zu fassen!“, flüsterte Lana. „Er schickt den Geist von George Malcolm aus, um ihm zu verraten, was es in seinem Haus an Reichtümern zu holen gibt!“
„Etwas Ähnliches hat er auch mit dem Geist meines Vaters getan“, murmelte Brad.
„Was?“
Lana sah ihn erstaunt an.
Aber Brad kam nicht mehr dazu, ihr zu antworten, denn in diesem Augenblick kehrte der Geist von George Malcolm zurück. Er glich zunächst einem Lichtpunkt von der Größe eines Tennisballs. Über dem Grabstein von George W. Malcolm blieb dieser Lichtpunkt stehen, dehnte sich aus und verwandelte sich danach wieder in die Geistererscheinung.
Eine zweite Lichtblase teilte sich ab. Sie zeigte Schmuckstücke, Antiquitäten, wertvolle Gemälde. Brad sah diese Bilder gleichzeitig auch in seinen Gedanken. Ihm war, als würde er einen Rundgang durch das Haus der Malcolms unternehmen. Die Eindrücke waren von geradezu schmerzhafter Intensität.
Dann fiel die geisterhafte Lichterscheinung über dem Grabstein in sich zusammen und löste sich in Nichts auf.
Der Totengräber stand noch immer mit geschlossenen Augen da und schwankte leicht.
Brad starrte ihn an.
Er atmete tief durch.
Jetzt weiß ich
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