Der träumende Diamant 3 - Drachenmagie
erfasst hatte.
Sein Körper würde so oder so aufhören zu brennen.
14
Wir kennen keine Geschichten über Brüder im Krieg. Vielleicht gab es in unserer Vergangenheit ja auch keine. Und wenn dies doch der Fall gewesen ist, dann waren die Ergebnisse vielleicht so schrecklich, dass man ihnen keine Stimme verleihen wollte. Unsere Magie liegt in unseren Worten und Liedern sowie im Fliegen. Unsere Wildheit könnte den schieren
Stoff des Himmels zerreißen, die Sonne und all die hellen Galaxien wie Piratenschätze verschütten, die man in die weiße Gischt der See wirft.
Wir sind nicht dafür geschaffen, einander zu bekämpfen. Wir sind nicht dazu geschaffen, unsere Gaben auf diese Weise zu benutzen.
Aber wenn die Anderen uns benutzen wollen - welchen besseren Weg gibt es, als uns dazu zu zwingen, gegeneinander zu arbeiten? Ohne die Drákon würden die wertvollen Steine, die dicken Goldadern, all die Schönheiten des Landes und die blaue Versprechung vom Himmel die ihren werden.
Solch kleine, verbitterte Wesen. Ich weiß nicht, weshalb wir sie als köstlich bezeichnen.
15
In dieser Nacht verschwand das erste Kind.
Von den Bauerngehöften abgesehen, drängten sich die meisten Häuser des Stammes innerhalb oder nur wenig außerhalb des Dorfes zusammen, welches das Zentrum ihres Handels und ihrer Gemeinschaft darstellte. Inzwischen war es groß genug geworden, um beinahe als Stadt durchzugehen, aber man hatte es seit den Anfängen ihrer Zeit als »das Dorf« bezeichnet, und so würde das zweifellos bleiben, selbst wenn es an Größe mit London wetteifern sollte.
Das Mädchen hieß Honor Carlisle. Ihr Vater stand den Silberminen vor, die solch großen Reichtum in die Grafschaft brachten. Sein Name lautete Gervase, und Kimber kannte ihn schon sein ganzes Leben lang. Die Carlisles wohnten in
einem großen, elisabethanischen Ziegelgebäude, das einst als Quartier des Jagdaufsehers benutzt worden war und weiter vom Dorf entfernt stand als die meisten anderen Häuser. Honor war ihr einziges Kind.
Allen zufolge, mit denen er sprach, war das Mädchen ruhig und gehorsam und lernte eifrig. Sie hatte ein paar Freunde, aber die schworen, sie nicht gesehen zu haben. Sie schworen auch, dass sie keinen Verehrer hatte, weder Drákon noch sonst einen.
Es hatte eine Zeit gegeben, in welcher der schiere Gedanke, eine Jungfer des Stammes könne sich auf romantische Weise mit einem Menschenmann verbinden, so gut wie undenkbar war. Aber nachdem ihre Traditionen in letzter Zeit so zerbröckelt waren, musste er sich Gewissheit verschaffen.
Es hatte in Darkfrith nicht geregnet, aber in der Dämmerung zogen Wolken auf, und Tau bedeckte den Boden. Die Fußspuren des Mädchens enthüllten, dass sie zur Vordertür hinausgegangen war und allein die lange Böschung des Hofes überquert hatte, die an der Straße endete. Das Gras war ein wenig zu lang und brüchig an den Spitzen, also war es einfach, ihrer Spur bis dorthin zu folgen.
Die Straße führte in einer Richtung zurück zum Dorf und Chasen Manor dahinter, in der anderen zu den Ufern des großen, breiten und flachen Flusses Fier, der viele Meilen entfernt Fische und Schlamm und wirbelnde Blätter der Nordsee zuführte.
Ihr Geruch sagte ihnen, dass sie zum Fluss gegangen war. Und von dort aus war sie verschwunden.
Eigentlich handelte es sich bei ihr um kein Kind, denn sie zählte annähernd fünfzehn Jahre und befand sich auf der Schwelle der Wandlung, sofern das Schicksal sich dazu entschloss, sie auszuzeichnen. Zu der Zeit, als Kimber ihrer
Spur so weit wie möglich gefolgt war, sich mit dem Rat, den Ältesten und den von Panik erfassten Eltern wieder und wieder beraten hatte, dröhnte der Lärm von Maricaras harten Schlägen gegen die Tür des Toten Raums wie eine kalte, harte Totenglocke durch das Herrenhaus.
Keiner hatte den Schlüssel. Es gab nur einen, und Kimber hatte ihn an einen Ring gehängt, den er an einer Kette um die Taille trug.
Als er die Türen seines Zuhauses durchschritt, begann eben die große Standuhr im Vestibül die Mittagsstunde zu schlagen. Sie ging immer vier Sekunden vor, ganz gleich, wie man sie stellte. Ihr folgten sofort all die anderen Uhren in den vielen Zimmern, mindestens vierzig, eine nach der anderen. Er hatte sich seit Jahren vorgenommen, wenigstens einige zu entfernen, aber seine Schwestern hatten protestiert. Die Diener hatten sich an sie gewöhnt; bei Chasen Manor handelte es sich um den Sitz einer stolzen, adligen Familie; alle besseren Leute
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