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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Jungen keine Spur. Er kniete sich hin und spähte unters Bett. Dann öffnete er den Schrank, bewegte die Vorhänge.
    » Vielleicht ist er in der Schule?«
    » Ja«, stimmte sie hastig zu, » natürlich, das wird es sein. Fahren wir.«
    Gemeinsam gingen sie die Treppe hinunter, wobei Kunun ihr einen Seitenblick zuwarf, misstrauisch.
    » Warum bist du hier? Ich dachte, du wolltest deine Kamera holen.«
    » Das habe ich auch getan«, meinte sie. » Aber dann musste ich mir einen neuen Film kaufen. Anschließend bin ich hergekommen, um kurz nach dem Rechten zu sehen, weil Réka bei uns ist und Mónika…« Ja, was war mit ihr? War sie nicht mit Mária durch die Pforte gegangen? War sie nicht auch im Wald gewesen, als Hanna und Kunun eingetroffen waren? Irrte sie am Ende immer noch durch Magyria? » Ich wollte mich bloß vergewissern, dass alles in Ordnung ist.«
    Sie traten auf die Straße hinaus, wo der glänzende schwarze Sportwagen zwischen den verbeulten Vehikeln der Nachbarn stand. Hanna ließ sich in den Beifahrersitz sinken; es war das erste Mal, dass sie in diesem Auto mitfuhr.
    » Wir sollten uns aufteilen«, meinte er, während der Wagen um die Ecke schoss. » Vielleicht sitzt Attila noch zu Hause am Frühstückstisch, bei seinem Vater.«
    » Die Eltern haben sich getrennt, das ist eher unwahrscheinlich.«
    Ein paar unvorsichtige Fußgänger sprangen zur Seite, als sie über das raue Pflaster bretterten.
    » Attila war mein Schützling«, meinte Hanna vorsichtig. » Aber warum kümmert es dich auf einmal, ob es ihm gut geht?«
    Kunun antwortete zunächst nicht, sondern konzentrierte sich auf die Straße und jagte den Hügel hinauf. Da war die Schule auch schon, die letzten Mauerüberreste waren längst beseitigt.
    » Keine Kinder zu sehen«, meinte er. » Alles wirkt merkwürdig verlassen. Ist es zu früh?«
    » Keine Ahnung.« Sie spähte an ihm vorbei durchs Fenster. Wenn sie ein Mensch gewesen wäre, hätte ihr stockender Atem die Wahrheit hinausgeschrien oder der Angstschweiß auf der Stirn oder gar das Entsetzen in den Augen. So jedoch blieb sie ganz ruhig.
    Wie Atschorek, als würde die ganze Welt sie einen Dreck scheren. Hauptsache, man sah dabei gut aus.
    » Wahrscheinlich sind schon Ferien«, meinte sie. » Ich kenne mich da nicht aus. Seit meiner Verwandlung ist mir jegliches Zeitgefühl abhandengekommen.«
    Kunun startete durch. Hanna hätte nicht geglaubt, dass man in dieser Stadt so schnell fahren konnte, und am liebsten hätte sie ihn gefragt, warum er sich nicht gleich einen Hubschrauber zulegte. Doch ihr war nicht zum Scherzen zumute. Der Audi dröhnte den Hügel hinauf, und sie musste sich der Tatsache stellen, dass sie Attila in wenigen Minuten finden würden.
    Ich muss mit dem Jungen in den Garten, dachte sie. Weiß Kunun von der Pforte, die Wilder geöffnet hat, als er Réka gebissen hat? Dorthin muss ich mit Attila, und zwar schnell genug. Ich müsste ihn so tragen, dass ihm nichts geschehen kann. Jemand müsste Kunun ablenken …
    Ihre Gedanken rasten mit dem Sportwagen um die Wette, während die Pläne einander ablösten. Noch hatte sie keine Antwort darauf, wie sie mit Attila aus dem Haus gelangen könnte, ohne dass Kunun etwas davon mitbekam, da hielten sie bereits vor der Villa.
    Hanna sprang sofort aus dem Auto, aber da das Tor geschlossen war, blieb ihr nichts anderes übrig, als auf Kunun zu warten. Er rückte sein Hemd zurecht, doch nichts hätte ihn so vertrauenserweckend gemacht, dass irgendein Mensch ihm freiwillig die Tür geöffnet hätte. Er versuchte es nicht einmal, sondern fasste Hanna am Arm, und so traten sie gemeinsam durch den Schatten hinüber auf das Grundstück der Szigethys.
    » Sind sie da?«, fragte er leise.
    » Ich weiß es nicht. Der Wagen könnte in der Garage sein.«
    Der Porsche Cayenne stand nicht auf der Auffahrt, wie Hanna sofort auffiel, allerdings musste das nichts bedeuten.
    Sie marschierten den schmalen Weg zur Haustür hoch, und auch hier bewies Kunun keine Geduld. Er hob einen Stein aus dem Vorgarten auf und zerschlug kurzerhand die Glasfüllung der Tür.
    » Bestimmt löst du damit die Alarmanlage aus.«
    » Das macht nichts«, sagte er. » Wer soll schon kommen? Die Polizei?«
    Hanna erwartete halb, dass Ferenc Szigethy ihnen entgegenstürmte, doch im Haus war es still.
    » Es ist niemand da.« Sie war enttäuscht und erleichtert zugleich. Wo war Attila? Langsam begann sie wirklich, sich Sorgen um ihn zu machen. Andererseits hätte sie es wohl

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