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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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mitkommen?«
    Allmählich wurde sie neugierig. Was wollte dieses Tier von ihr? In der Burg wimmelte es von Wölfen. Kunun hatte einige von ihnen stets an seiner Seite. Wenn sie vorgehabt hätte, sich wie er mit gefährlichen Begleitern zu schmücken, hätte sie die imposanteren Schattenwölfe gewählt. Oder wenigstens ein paar jüngere, hübschere Exemplare. Dieser Wolf war alt, sein Fell glanzlos. Geduldig wartete er auf sie.
    Sie steckte ihre Taschenlampe ein– mittlerweile ging sie nicht mehr ohne aus dem Zimmer– und folgte ihm auf den Gang.
    » Wohin soll’s denn gehen?«
    Er trottete gemächlich voraus, lautlos, während Hannas Schritte auf den Steinfliesen hallten.
    Der Wolf blieb stehen und starrte sie vorwurfsvoll an.
    » Ich habe es gemerkt, keine Sorge.« Sie streifte die Pumps von den Füßen und versteckte die Schuhe hinter der Statue eines Fabelwesens, dann huschte sie ihm hinterher. Als ihnen Wächter entgegenkamen, duckte das Tier sich und wich in einen Seitengang aus. Hanna tat es ihm nach. Allmählich machte ihr die Sache Spaß. » Wohin jetzt?«
    Dann standen sie vor einer Tür. Hanna erkannte sie– das war die Tür, von der Kunun sie weggelotst hatte, hinter der sich angeblich nur Gerümpel befand. An der schlichten, mit wenigen Schnitzereien verzierten Tür war nur eines bemerkenswert: dass sie verschlossen war.
    Wozu brauchte man Schlösser und Riegel in einer Burg voller Schatten, von denen die meisten durch Mauern gehen konnten?
    Erwartungsvoll stupste der Wolf sie an.
    Sie tätschelte ihm den Kopf. » Tut mir leid. Ich bin zwar ein Schatten, aber ich bin nicht so gut im Wändedurchschreiten. Ich wäre schon mal fast steckengeblieben. Lass es gut sein.«
    Ein fassungsloser Ausdruck trat in seine Bernsteinaugen. Damit hatte er offenbar nicht gerechnet.
    » Tja. Dann gehe ich mal wieder zurück in mein Zimmer.– Au!«
    Mit den spitzen Zähnen hatte er sie in die Wade gezwickt. » Was nimmst du dir heraus?« Doch sie konnte ihm nicht böse sein, dazu sah er viel zu jämmerlich aus. » Also gut. Wohin jetzt?«
    Wieder folgte sie ihm durch die stillen Flure, immer auf der Hut vor den Wächtern. Schließlich blieben sie vor einer weiteren Tür stehen. Auch diese war verschlossen.
    » Was soll das denn? Langsam müsstest du wissen, dass ich damit nicht klarkomme.«
    Der Wolf richtete sich an der Tür auf und winselte erwartungsvoll. Seine Pfoten kratzten über das Holz.
    Hanna beobachtete ihn eine Weile, dann tastete sie die Nische über der Tür ab, und ihre Hände schlossen sich um einen Schlüssel.
    » Na, wer sagt’s denn. Wir verstehen uns, mein Guter.«
    Ein leerer Raum im Dunkeln erwartete sie. Hanna ließ den Strahl ihrer Taschenlampe über die Wände gleiten und entdeckte acht Porträts.
    Der Wolf nickte ihr auffordernd zu. Sie sollte sich die Bilder ansehen? Den Gefallen konnte sie ihm gerne tun. Drei Mädchen und fünf junge Männer. Einige von ihnen sahen nicht besonders auffällig aus, aber auch sie hatten eine Ausstrahlung, die der Maler eingefangen hatte. Alles interessante Persönlichkeiten, vermutete Hanna.
    Ein Porträt stach aus allen heraus: ein Mädchen, das sehr viel jünger war als die anderen, höchstens zwölf. Das war eindeutig Atschorek. Die beiden älteren Prinzessinnen sahen ihr kaum ähnlich, die eine hatte sich zum Tanzen schön gemacht, die andere blickte unergründlich in die Ferne. Dann die Männer, kaum als Brüder erkennbar: zweimal blond– Mattim und ein Fremder–, einmal rot, das war bestimmt Wilder, zweimal dunkel: Kunun und Bela? Sie hatte Kununs jüngere Brüder nur als Wölfe getroffen, der eine hatte ein schwarzgraues, der andere ein rötliches Fell.
    Einer der porträtierten Männer war schön, einer war arrogant, einer trotzig und einer frech, und der fünfte Junge war Mattim. Zu ihm fiel ihr nichts ein. Kunun, ganz am Ende der Reihe, war vielleicht der schönste und arroganteste von allen– ob beides wohl zusammenhing? Dunkel und zugleich voller Licht, sein Lächeln eine Spur zu selbstbewusst.
    Hanna beleuchtete die Bilder in umgekehrter Richtung, bis sie wieder bei Mattims Porträt angelangt war. Sie betrachtete es und überlegte, was ihr daran seltsam vorkam. Diese Ähnlichkeit mit Kunun! In der Realität war sie viel größer als auf den Bildern. Nein, diese Porträts hatten kaum etwas mit der Gegenwart zu tun. Diese freundliche Unschuld, bei ihnen allen!
    Nur Atschorek, ein Kind mit einem zornigen Blick, wusste mehr als die anderen. In ihrem

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