Der Traummann aus der Zukunft (German Edition)
der Atmosphäre stimmte nicht. Emilia nahm weder Wut, noch Trauer wahr. Sie spürte keine verletzten Gefühle, keine Aggression und auch kein Bedauern. Da war nur Neutralität, unbeteiligte, gesichtslose Gleichmütigkeit. Emilia schüttelte sich.
„Ist dir kalt?“, fragte Bernhard.
„Nein. Überhaupt nicht.“ Sie winkte einen Kellner heran und bestellte auch einen Eiskaffee. Jetzt schnell den richtigen Anfang finden, Bernhard nicht länger zappeln lassen, alles wieder in Ordnung bringen. Sie hatte sich die Worte zu Hause tausend Mal zurechtgelegt, Jetzt waren sie alle weg. Sie wollte Bernhards Hand nehmen, aber er hatte sie unter dem Tisch versteckt. Warum das? Bernhard hatte seine Hände sonst nie unter dem Tisch.
„Bernhard. Es tut mir leid. Ich glaube, ich brauchte nur mal … aber jetzt … wir …“
„Emilia …“ Bernhard unterbrach sie. Er holte tief Luft und beugte sich etwas zu ihr rüber. Emilia lehnte sich ebenfalls über den Tisch. Der Kellner stellte den Eiskaffee dazwischen.
„Ich gebe zu, ich habe dich gehasst, als ich nach Hause kam und den Brief fand. Aber du hattest recht. Es war besser, dass du nicht da warst. Jetzt bin ich dir dankbar. Du hast alles ins Lot gebracht.“
Emilia wurde bei diesen Worten von einer warmen Welle Glück durchflutet. Sie musste gar nicht die richtigen Worte finden. Bernhard übernahm das für sie. Bernhard empfand augenscheinlich genauso! Das klang nach einem harmonischen Neuanfang, wie er im Bilderbuch stand. Emilias Mundwinkel zogen sich weit auseinander. Sie strahlte Bernhard an. Unwillkürlich schnellten ihre Hände in die Tischmitte. Aber Bernhard hatte seine Hände immer noch unter dem Tisch. Also griff Emilia nach dem Aschenbecher.
„Das freut mich. Ich hatte das gehofft, weißt du. Ich bin so froh darüber. Jetzt haben wir einen richtigen Neuanfang.“
Bernhard nahm Emilia verwirrt den Aschenbecher aus der Hand und stellte ihn wieder an seinen Platz. Er räusperte sich, als würde Emilia ein bisschen zu viel der Freude zeigen.
„Ja, wer hätte das gedacht. Vielleicht wäre ich auch bald so weit gewesen. Aber du warst eben ein bisschen schneller.“ Bernhard lächelte. So, wie er früher öfter gelächelt hatte. So ein bisschen verschämt, aber auch spitzbübisch.
„Naja, das ist eben mal was Neues. Sonst warst du ja immer der Schnellere.“
Emilias Stimme klang hoch wie bei einem aufgeregten Kind.
„Ja, naja, eigentlich war ich wohl auch wieder schneller, aber mir hatte der Mut gefehlt zu diesem Schritt.“
Emilia verstand nicht ganz, was Bernhard sagen wollte.
„Wie meinst du das?“
Und dann fiel der Name, der das Nebelhorn auslöste wegen dem Nebel, der das Schiff plötzlich komplett einhüllte, obwohl gerade noch prächtiges Wetter gewesen war.
„Also, dass mit Victoria, meiner neuen Frau, das läuft in Wirklichkeit schon länger. Genau genommen, seit ich das erste Mal in Kassel war.“
„Wie?“
„Victoria. Sie heißt Victoria. Aber der Name tut ja nichts zur Sache.“
Das Dröhnen breitete sich vom Kopf im ganzen Körper aus. Lautlos ging das riesen Schiff unter. Sie stand immer noch an der Reling. Aber neben ihr war kein Arm mehr. Sie hielt sich an dem rostigen Eisen fest und hatte den Eindruck, dass das eiskalte Wasser, das viel zu schnell an ihr hochstieg, ziemlich heiß war.
Dann war da doch ein Arm. Bernhard war aufgesprungen und hinderte Emilia daran, von ihrem Caféhausstuhl zu gleiten.
„Was ist los? Ist dir nicht gut, Emilia? Soll ich dich zur Toilette bringen? Du hast noch nie Eiskaffee getrunken.“
Bernhard sah Emilia besorgt an. Emilia versuchte in den Augen, die sie anstarrten, Bernhard zu erkennen. Aber er war ein Fremder, der eine andere Frau hatte. Bernhard hatte eine andere Frau.
„Du trinkst sonst auch keinen Eiskaffee“, brachte Emilia hervor und riss sich von Bernhard los. Sie presste die Hände auf ihre Ohren. Das Dröhnen sollte aufhören. Bernhard setzte sich wieder hin. Jetzt suchte er nach Worten.
„Oh, das tut mir leid … Ich war mir sicher … Also, ich dachte, du wusstest inzwischen Bescheid und hast nur nichts gesagt. Ich dachte …“
„Du hast in Kassel eine Frau….“
„Ja, wir haben uns beim ersten Meeting kennengelernt. Da dachte ich aber noch, es wäre nur ein One Night Stand und hab nichts erzählt, um unsere Ehe nicht zu gefährden.“
„One Night Stand, um unsere Ehe nicht zu gefährden …“, wiederholte Emilia unbeteiligt, als wäre sie die
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