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Der Triumph des 19. Jahrhunderts

Der Triumph des 19. Jahrhunderts

Titel: Der Triumph des 19. Jahrhunderts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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riesenhaften Dimensionen des Bildes einzuschrumpfen, und als die Sonne über dem Horizonte stand, war die ganze zauberhafte Wirkung verschwunden.«
    Die Empfindungen, welche der Anblick Conceptions bei Lütke erregte, wichen von denen seiner Vorgänger nicht unwesentlich ab. Er hatte den üppigen Reichthum der Vegetation in der Bai von Rio de Janeiro nicht vergessen, so daß ihm diese Küste dagegen ärmlich vorkam. Die Einwohner schienen ihm, so weit er darüber nach so kurzem Aufenthalte urtheilen konnte, von recht sanftem Charakter und gebildeter zu sein, als die niederen Volksclassen in manchen anderen Ländern.
    Als er in Valparaiso einlief, sah Lütke noch die »Möller«, welche eben im Begriffe stand, nach Kamtschatka abzusegeln. Die Mannschaft beider Schiffe nahm hier von einander Abschied und jedes verfolgte nun seinen eigenen Weg.
    Der erste Ausflug der Officiere und Naturforscher galt den berühmten, »Quebradas«.
    »Es sind das, sagt der Reisende, eigentlich Schluchten in den Bergen, welche sozusagen von kleinen Hütten ausgefüllt sind, in denen der größte Theil der Bewohner von Valparaiso wohnt. Die bevölkertste dieser Quebrädas ist diejenige, welche von der Südostecke der Stadt emporsteigt. Der hier zu Tage liegende Granit dient als sicherer Baugrund, der die Häuschen vor den zerstörenden Wirkungen der häufigen Erdbeben schützt. Den Verkehr dieser Wohnstätten unter sich und mit der eigentlichen Stadt vermitteln schmale Fußstege ohne Stufen oder Geländer, die sich am Abhange der Felsen hinziehen und auf welchen Kinder wie Gemsen in allen Richtungen hin-und herspringen. Nur wenige Häuser finden sich hier, und diese gehören dann Ausländern, nach welchen zwei Fußstege mit wirklichen Stufen führen; die Chilenen betrachten solche als überflüssig und ganz unnützen Luxus. Es bietet ein eigenthümliches Schauspiel, unter den Füßen eine Art Terrasse von Ziegeldächern und Palmengipfeln, und über dem Kopfe ein Amphitheater von Gärten und Thoren zu sehen.
    Anfangs versuchte ich den Naturforschern zu folgen; mit denselben aber kam ich bald an eine Stelle, wo ich weder vorwärts noch rückwärts auch nur einen Schritt thun konnte, was mich veranlaßte, mit einem meiner Officiere unter den größten Beschwerden umzukehren und die Uebrigen mit dem Wunsche zurückzulassen, daß sie mit gesunden Gliedern wieder heimkommen möchten; ich selbst fürchtete wiederholt, Hals und Beine zu brechen, bevor ich wieder hinunter kam.«
    Bei ihrer Zurückkunft von einer beschwerlichen Excursion, welche die Seeleute einige Meilen weit von Valparaiso unternommen hatten, verwunderten sie sich nicht wenig, als sie zu Pferde die Stadt betraten, angehalten und zum Absitzen genöthigt zu werden.
    »Es war nämlich Gründonnerstag, schreibt Lütke; von diesem Tage ab bis zum Sonnabend vor Ostern ist es bei schwerer Geldbuße verboten, zu reiten, zu singen, zu tanzen, irgend ein Instrument zu spielen, ja sogar mit bedecktem Haupte einherzugehen. Alle Geschäfte und Vergnügungen sind während dieser stillen Zeit streng verpönt. Der Hügel inmitten der Stadt wird für diese Tage in ein Golgatha umgewandelt. In einem mit Geländern umschlossenen Raume erhebt sich dann ein Kreuz mit dem Bilde Christi; neben demselben legt man viele Blumen nieder und zahllose Wachskerzen; als Zeuginnen der Leiden unseres Erlösers knieen an beiden Seiten betende Frauen. Nach diesem Orte ziehen die frommen Seelen, um durch ein lautgesprochenes Gebet ihre Sünden abzuwaschen. Ich sah hier übrigens nur Sünderinnen, aber keinen einzigen Sünder. Die meisten derselben schienen von vornherein überzeugt, daß ihnen die Gnade des Himmels zu Theil werde, denn sie hüpften spielend und lachend herbei, nahmen darauf eine zerknirschte Miene an, fielen für wenige Augenblicke auf die Kniee und setzten dann, ihr Spiel und Gelächter wieder beginnend, den Weg weiter fort.«
    Ueber die Intoleranz und den Aberglauben, denen der Fremde auf Tritt und Schritt begegnet, urtheilt der Reisende recht vernünftig. Er spricht sein Bedauern darüber aus, in fortwährenden Revolutionen so viel Kräfte und Hilfsmittel vergeudet zu sehen, welche weit besser zur geistigen und materiellen Entwicklung des Volkes verwendet werden könnten.
    Nach Lütke gleicht nichts einem paradiesischen Thale weniger, als gerade Valparaiso und dessen Umgebungen. Kahle, von tiefen Quebrädas zerklüftete Berge, eine sandige Ebene, in der die Stadt sich erhebt, der hohe Gebirgskamm

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