Der Turm der Seelen
…»
«Ich verstehe.»
«Auf diese Art spreche ich über meine Schüler nämlich höchstens mit der Polizei, und auch dann nur, wenn es einen begründeten Verdacht gibt …»
«Natürlich.»
«Na gut», sagte Morrell, «Layla Riddock … Mein Gott, womit habe ich das eigentlich verdient? … Layla ist ein ziemlich dominantes Mädchen. Sie ist die Stieftochter von Allan Henry, ja?»
«Allan Henry von den Allan Henry …»
«… Homes. – Genau. Sie können sich denken, was das heißt. Natürlich kenne ich die häusliche Situation nicht genau, aber wenn ich raten sollte, würde ich sagen, dass er genauso wie viele andere reiche Männer mit problematischen Stiefkindern jahrelang eine Menge Geld für sie ausgegeben hat. Damit kaufen sie sich den Gehorsam der Kinder, bis sie aus dem Haus gehen. Layla fährt zum Beispiel in einem Auto herum, das
ich
mir nicht leisten könnte. Na ja … vermutlich könnte ich es, aber Sie verstehen ja, was ich damit sagen will, oder?»
«Mmm.»
«Sie ist intelligent, aber bei ihr zu Hause lassen sie ihr viel zu viel durchgehen. Deshalb glaubt sie vermutlich, dass sie auch in der Schule nur das absolute Minimum bringen muss. Schwebt immer mit so einem geringschätzigen Blick herum, der einem sagt, wie öde sie es findet, ihre Zeit mit diesen Kleinkindern verbringen zu müssen.»
«Schikaniert sie die anderen auch?»
«Nicht körperlich, soweit ich weiß. Ehrlich gesagt, glaube ich, dazu würde sie sich nicht herablassen. Sie kann auch so schon einschüchternd genug sein. Ich meine, sie ist ziemlich …»
Es wurde still in der Leitung. Jane hatte es ‹finster› genannt.
«Denken Sie an etwas Bestimmtes?» Merrily zog sich ihren Predigtblock heran und nahm einen Stift in die Hand. «Irgendetwas, das sie getan hat?»
Sie hörte Morrell atmen. «Da fällt mir natürlich der Weihnachtsbasar ein, den wir vergangenes Jahr in der Schule veranstaltet haben. Waren Sie auch da?»
«Nein, ich war … ziemlich beschäftigt vor Weihnachten. Und Jane war nicht in der Schule, sie war nicht besonders … Nein, wir waren nicht da.»
«Also», sagte er, «ich kann Ihnen versichern, dass es uns alle ziemlich überrascht hat, um das Mindeste zu sagen, als sich MissRiddock freiwillig angeboten hat, bei der Spendensammlung zu helfen – jeder hätte gedacht, sie würde einen Weihnachtsbasar als weit unter ihrer Würde ansehen. Jedenfalls hat sie einen Lehrer angesprochen und angeboten, einen Wahrsagerinnenstand aufzubauen.»
«Ach wirklich?»
«Ja», sagte er grollend. «Ich dachte mir schon, dass Ihnen das gefällt. War ganz schön aufsehenerregend, als sie dann in ihrem Zigeunerkostüm bei dem Basar aufgetaucht ist.
Sehr
exotisch – und sehr teuer, hat meine Frau gesagt. Sie trug ein langes, tief ausgeschnittenes schwarzes Kleid, große Goldkreolen – Gold, kein Messing – und einen schwarzen Hut mit einem dunklen Schleier. Sie wirkte unheimlich erwachsen, geheimnisvoll und auch ein bisschen beunruhigend – aber es kann sein, dass mir das erst im Nachhinein so erschienen ist.»
‹Sie wirkt immer irgendwie … verdorben›
, hatte Jane gesagt. Merrily zündete sich eine Zigarette an.
«Ein paar Lehrer aus dem Kollegium hatten von Anfang an Vorbehalte», sagte Morrell. «Aber weil es das erste Mal war, dass Layla Riddock überhaupt für etwas Begeisterung aufbrachte, das mit der Schule zu tun hatte, haben sie ihre Bedenken zurückgestellt. Also hat sie einen Stand in der Turnhalle bekommen. Ein Vorhang wurde davor aufgehängt, und jemand malte ein Schild, auf dem
Zigeuner-Layla
stand. Und nachdem alle anderen Stände nur das Übliche boten, standen die Leute bei ihr Schlange. Es stellten sich auch Männer an, nachdem sie Layla erst mal gesehen hatten.»
«Ist sie denn so außergewöhnlich attraktiv?»
«Man könnte vermutlich sagen, dass Layla irgendwas Hormonelles ausstrahlt. Auf jeden Fall ist es etwas, das einem normalerweise nicht auf einem Weihnachtsbasar in einer Schule begegnet.»
«Und war sie gut als Wahrsagerin?»
«Sie war vor allem verdammt gut darin, den Leuten Angst einzujagen», sagte Robert Morrell wütend. «Mit
mir
hätte das nicht funktioniert, wie Sie sich inzwischen ja denken können. Aber ich weiß, dass sich viele Menschen gegen alle Vernunft von diesem Unsinn beeindrucken lassen. Ich habe zwar keine Erfahrung mit solchen Dingen, aber ich gehe davon aus, dass die Wahrsagerin der Kundschaft normalerweise sagt, dass sie ihre
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