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Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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offensichtlich das großartig Neue: ein kostspielig restauriertes, makellos ausgestattetes Haus in den Cevennen. Berühmte Freunde würden zwecks Bewunderung eingeladen werden. Er würde Tag und Nacht arbeiten, bis alles perfekt war, und dann damit angeben. Er würde sehr laut schlechtes Französisch sprechen. Die Nachbarn in der Gegend würden ihn nicht mögen, aber er würde es nicht einmal merken.
    Kitty war seiner Gesellschaft schon jetzt so überdrüssig, dass sie Anthonys Anwesenheit als großes Unglück empfand. Erwohnte seit zehn Tagen bei ihnen in Les Glaniques, brachte den Rhythmus ihres Lebens durcheinander, machte ihr jedes Arbeiten unmöglich, und nun würde die Jagd nach Häusern losgehen, und das könnte Wochen und Monate dauern. Es war unerträglich.
    Unerträglich .
    Während Veronica Karamellcreme und Kaffee für alle bestellte, dachte Kitty, wie gern sie Anthony Verey zu der Brücke da unten führen, seine Füße mit Steinen beschweren und ihn in das reißende Wasser stoßen würde. Er war der letzte männliche Verey mit all dem überlieferten Snobismus und dem ungerechtfertigten Anspruchsdenken der Sippe. Es wäre gewiss besser – für sie selbst, für Veronica, für die Welt –, wenn man sich seiner entledigte, wenn dieses Leben, das er für so kostbar hielt, kurzerhand abrupt beendet würde.
    »Was denkst du gerade, Kitty?«, fragte Veronica plötzlich.
    Kitty erschrak. Plötzlich rastlos wie ein Vogel, legte sie ihre Serviette hin, sagte, mit der Karamellcreme habe sie es sich anders überlegt, sie würde gern einen Spaziergang am Fluss machen.
    »O nein«, sagte Veronica. »Warte, bis wir mit dem Essen fertig sind, dann gehen wir alle zusammen.«
    Doch Kitty erhob sich. Und während sie den Kopf schüttelte, musste sie zu ihrem Kummer wieder daran denken, dass Veronica über ihr Haar gesagt hatte, es lasse sich »schlecht streicheln«.
    Sie ging zu der Treppe, die hinunter zur Straße führte. Noch während sie sich vom Tisch entfernte, hörte sie Anthony laut sagen: »O Gott, habe ich etwas Schreckliches gesagt? Bin ich ein Monster?«
    Kitty lief weiter, ohne sich umzuschauen. Sie dachte: Jeder Schritt, der mich von ihm entfernt, ist eine Erleichterung. Aber der Gedanke, dass sie sich dabei gleichzeitig von Veronica entfernte, war ihr wie ein Stich ins Herz. Das letzte Mal, als siebeide hier in Les Méjanels gewesen waren – gegen Ende des vorigen Sommers –, waren sie nach dem Mittagessen zum Gardon hinuntergelaufen, hatten in der heißen Sonne gesessen und im Sand Tic Tac Toe gespielt, und Veronica hatte gesagt: »Ich mache die Kreuze. Bitte schön. Der erste Kuss ist für dich.«
    Auf dem Weg zum Wasser fragte Kitty sich: Braucht denn nicht jede Liebe einen geschützten Raum für sich? Und wenn das so ist, wieso begreifen die Liebenden dann nicht, welch einen Schaden Grenzüberschreitungen anrichten können? Es empörte sie, dass Veronica so leichtfertig gemeinsame Sache mit Anthony machen konnte, wo es doch unausgesprochen um die anscheinend unbegrenzte Dauer seines Besuchs ging. Als wäre Anthony für sie der wichtigste Mensch, als hätte er, seit jeher und auch in aller Zukunft, das Recht, an erster Stelle zu stehen, und als wäre es an ihr, Kitty, diese Hierarchie mit erwachsener Gelassenheit hinzunehmen und keinen Aufstand zu machen.
    Und natürlich wusste Anthony das alles. Zweifellos genoss er dieses Wissen auch. Genoss es, dass »Vs kleine Freundin« auf den zweiten Platz verwiesen wurde. Gut möglich, dass er seinen Aufenthalt bis in den Sommer oder noch länger ausdehnte, nur um sie zu schikanieren, nur um alles dafür zu tun, dass Veronicas Liebe in die Brüche ging.
    Am Ufer angekommen, wandte Kitty sich nach rechts und nahm den schmalen Pfad oberhalb des glitzernden, wild strudelnden Flusses. Sie sah, dass der graue Strand, an dem sie mit Veronica gesessen hatte, jetzt überspült war. Wahrscheinlich würde er erst in der Julihitze, wenn der Fluss zu einem träge fließenden Wasserlauf schrumpfte, wieder zum Vorschein kommen. Große Steine, die letztes Jahr mitten im Fluss gelegen hatten, waren jetzt im Wasser verschwunden, und Kitty malte sich aus, wie all die frisch geschlüpften Bachforellen ihr Leben in dieser schützenden Dunkelheit begannen, wie sie an dem grünen, proteinreichen Kraut knabberten, das im Kiesbett des Flusses wogte.
    Und während Kitty so über das unschuldige Leben der Fische nachsann, merkte sie, dass sie weinte.
    Sie stolperte weiter. Am liebsten

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