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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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sie nur konnte, um der Langeweile entgegenzuwirken. Anders als ihre Mutter schminkte sie sich nie die Lippen, sondern stäubte nur etwas Puder über Gesicht und Dekolleté und trug gelegentlich, so wie jetzt, einen Hauch von Rouge auf ihre Wangen auf.
    »Wenn du noch lange an meinen Haaren herumfummelst, Myrtle, werde ich mich, nur um etwas zu tun zu haben, derart angemalt haben, dass ich wie ein Clown aussehe, «, sagte sie.
    »Fast fertig, Miss Em«, antwortete Myrtle, den Mund voller Haarnadeln, gab Emerald aber trotzdem erst nach weiteren zwanzig Minuten frei. Aber die Mühe hatte sich gelohnt, und sie konnte nicht leugnen, dass ihre Haare einfach wundervoll aussahen: seidig glänzend, kunstvoll ineinanderverschlungen und über einem kleinen Rahmen so hoch aufgetürmt, dass ihr cremeweißes Gesicht mit der weichen Wangenlinie im Vergleich dazu wie das eines kleinen Kätzchens wirkte.
    »Myrtle, du vergeudest bei uns deine Zeit. Du könntest mit Haaren ein Vermögen verdienen.«
    »Ja, Miss Em«, sagte Myrtle. »Sollen wir für die Party den Kamm hineinstecken?«
    »Oder Federn …«, sagte Emerald und stand auf.
    Sie besaß zwei Nachmittagskleider, die sie an ihrem Geburtstag tragen konnte, und stieg nun vorsichtig in eins davon hinein. Es war ein alter Freund. Sie hatte es schon zu ihren beiden letzten Geburtstagen getragen, und einmal zu Weihnachten, mit einem Samtschal darüber, damit es der Jahreszeit entsprach. So still sie konnte, stand sie am Fenster, während Myrtle die Knöpfe am Rücken zumachte. Im Allgemeinen bevorzugte Emerald Kleider, die sie allein an- und ausziehen konnte, aber wenn es sein musste, nahm sie Myrtles Hilfe in Anspruch.
    »Es ist schon fast fünf. Wo bleiben sie nur?«
    Myrtle war mit den Knöpfen fertig. »Wenn sonst nichts mehr ist, Miss Em?«
    »Nein, natürlich nicht. Vielen Dank für deine Hilfe.«
    Myrtle ließ sie allein, und sie blickte, an ihren Nägeln herumkauend, in Richtung Tor. Ihr Zimmer war ein Eckzimmer, sodass kaum etwas, was auf Sterne geschah, dem Blick aus seinen Fenstern entging, aber die Allee war zu dunkel, und sie konnte nur an den Schatten herumrätseln, die immer dichter wurden.
    Von außen betrachtet, dachte Emerald, gab sie sicherlich ein romantisches Bild ab: die anmutige junge Frau am hohen Fenster ihres anmutigen alten Hauses, die nervös auf die Ankunft ihrer Gäste wartete, während eine hin und wieder zwischen den Wolken hervorlugende Nachmittagssonne die Scheiben aufblitzen ließ. Sähe man dieses Bild, würde man kaum annehmen, dass die junge Dame nur auf ihren mürrischen Bruder, eine Freundin aus Kindertagen, deren Mutter und John Buchanan wartete. So ausgedrückt, klang es kein bisschen aufregend.
    Beim Gedanken an John Buchanan allerdings, der in romantischer Hinsicht so ganz und gar kein Interesse an ihr hegte und dessen gleichmütige Bewunderung in ihrer Schicklichkeit zum Haareausraufen verwandtschaftlich gewesen war, ging sie zum Frisiertisch zurück, schraubte ein kleines Döschen auf – das ihre schamlose Mutter voller Hoffnung dort hingestellt hatte – und tupfte einen Hauch roter Farbe auf ihre Lippen. Ihr Gesicht wirkte auf der Stelle strahlender und lebendiger, nicht zuletzt wegen des kurzen, mutwilligen Aufblitzens ihrer Augen.
    »So, du eingebildeter John Buchanan«, sagte sie, spitzte den Mund zu einem Lippenstiftkuss und streckte die Zunge heraus.
    Plötzlich stand Smudge in der Tür.
    »Mit wem redest du da?«
    »Mit mir selbst. Ich muss es mir unbedingt abgewöhnen.« Sie drehte sich zu ihrer Schwester um.
    »Du siehst wunderschön aus«, hauchte Smudge hingerissen. »Schade, dass du dich nur für Patience Sutton so schön gemacht hast.«
    »Genau das habe ich auch gedacht, Smudge«, sagte Emerald, ohne John zu erwähnen.
    »Schöner als eine Märchenprinzessin.«
    »Und das ist das Problem mit hübschen Kleidern. Man kommt dadurch auf Ideen, die nur mit einer Enttäuschung enden können.«
    »Das darfst du nicht sagen, Em«, rebellierte Smudge gegen diesen Zynismus. »Schließlich kannst du nicht wissen, was passieren wird.«
    Just in diesem Augenblick, wie als Reaktion auf das, was sie gesagt hatten, so als hätten die zahllosen, nicht aufeinander abgestimmten Zahnräder des Zufalls plötzlich doch für einen kurzen Moment ineinandergegriffen, hörten sie den Brougham draußen vorfahren.
    Ungewöhnlich war, dass Lady im sehr schnellen Trab über den Kies kam. Räder und Hufe klangen unrhythmisch und laut, und dann folgten

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