Der ungeladene Gast
war, einfach nur in der Nähe ihres unverbildeten Zaubers zu sein, konnte er nun nicht anders, als sich zu wünschen, sie für sich allein zu haben – so ihrer unwürdig er sich auch fühlte. Er lächelte. Nein, Ernest Sutton, sie ist nicht für dich bestimmt, dachte er für sich. Ein Mädchen wie sie ist nicht für schielende Sterbliche gedacht. (Sein Schielen war zwar korrigiert worden, nicht jedoch das Bild, das er von sich selbst hatte.) Und er fuhr damit fort, seine Sachen auszupacken, ohne sich auch nur im Geringsten an der Ungewöhnlichkeit zu stören, mit der dieser Tag bisher verlaufen war. Vielmehr freute er sich auf den vor ihm liegenden Abend.
Unten in der Halle, endlich allein, griff Emerald nach dem Telefon und hob den Hörer ab. Hinter sich, ein Stück den Korridor entlang, konnte sie die Reisenden im Frühstückszimmer hören. Sie redeten und lachten, und die nicht näher bestimmbaren Geräusche wirkten in den Hallen und Fluren von Sterne, die nur an die Familie Torrington und die Hunde gewöhnt waren, irgendwie unpassend.
Sie drückte die kühle Muschel des Hörers an ihr Ohr, die geflochtene Schnur schmiegte sich an ihren Unterarm wie ein toter Wurm. Die Leitung war selbst im Idealfall voller Störungen, jetzt jedoch machte der Lärm der Tee trinkenden Passagiere es schwer, irgendetwas deutlich zu hören.
Mit der für ihn typischen Begeisterung für alles Neue und Teure hatte Horace Torrington das Telefon noch im letzten Jahr seines Lebens installieren lassen. Die meisten der Anrufe, die über das Gerät getätigt worden waren, hatten Dr. Tod gegolten. Für Emerald war das Telefon, schwarz, wie es war, seitdem so sehr mit Gefühlen der Trauer verbunden, dass sie es nur höchst ungern benutzte. Die Begeisterung und Verwunderung der Familie über die an Zauber grenzende Modernität des Apparats war schnell dem größeren, hässlichen Staunen gewichen, das mit dem Dahinsiechen des Fleisches und mit dem Tod einhergeht. Jetzt bemühte sich Emerald um eine Verbindung, ertrug die Traurigkeit, die das elektrische Klicken in ihrem Herzen auslöste, und wartete darauf, dass Elsie Goodwin im Dorf auf sie aufmerksam wurde und mit ihr sprach. Die Leitung blieb still, aber hinter ihr wurden die Geräusche der Passagiere lauter, ganz so, als hätte jemand eine Tür geöffnet. Sie lauschte gespannt, bis schließlich das vertraute Knacken ertönte, das normalerweise Elsies durchdringendes, hohes, laut geschrienes »Vermittlung!« ankündigte, aber dann – hörte sie nichts mehr.
Elsies Begrüßung aus dem Nebenraum des Postamts, ihr Zuhause und ihr Laden, wurde nicht durch die lose von Mast zu Mast geschlungenen Drahtmeilen bis an Emeralds Ohr geleitet. Sie hörte nur ein leises Rauschen wie Wind, der durch ein langes Rohr fegt.
»Verflixt«, sagte sie und hängte den Hörer ein, während die Geräusche der gestrandeten Passagiere hinter ihr wieder leiser wurden. Ein paar Minuten später hatte sie sie völlig vergessen.
Währenddessen fragten sich die Besucher im Frühstückszimmer, was aus ihnen werden sollte. Sie waren ohne genauere Erklärung hierhergeschickt worden, und obwohl sie dankbar waren für den Tee und das warme Feuer, war ihre Reise verhängnisvoll gewesen und gewaltsam unterbrochen worden, und sie wünschten sich nur, endlich weiterzukommen.
»Ich würde einfach gern weiterkommen«, sagte eine kleine Frau, die ein kränkliches Kleinkind an ihre Brust drückte.
»In einen Unfall verwickelt zu sein ist etwas Schreckliches«, äußerte ein hohlwangiger Mann, in dessen Augen sich der Feuerschein tanzend spiegelte.
Sie waren unzufrieden. Seit dem Unfall hatte sich ihrer ein Hunger bemächtigt, vielleicht hervorgerufen durch den Schock, eine Leere, die der Tee ein wenig abgemildert hatte, die sich jetzt jedoch mit Macht wieder in den Vordergrund drängte.
»Einer von uns sollte gehen und sich kundig machen«, sagte jemand, und die anderen stimmten ihm zu.
»Ja, einer von uns sollte gehen und sich kundig machen.«
Und die vielen Menschen im Frühstückszimmer mit dem nur noch kläglichen Feuer und den überall verstreuten Teetassen, die sich in den Ecken zusammengekauert und auf sämtlichen Sitzgelegenheiten verteilt hatten, nickten mit einem zustimmenden Murmeln.
»Hunger«, sagten sie, in Bewegung kommend, ihre Mäntel fester um sich ziehend.
»Wir haben Hunger.«
»Hunger.«
Es war Viertel vor sieben. Florence Trieves hatte die dicke schwarze Seide ihres Kleides unter den Armen und
Weitere Kostenlose Bücher