Der Untergang
nun aber durch eine Reutermeldung bestätigt wurde. Sie teilte mit, daß der Reichsführer-SS Heinrich Himmler über den schwedischen Diplomaten Graf Folke Bernadotte versucht habe, gesonderte Verhandlungen mit den Westmächten aufzunehmen, und sich sogar zur »Durchführung einer bedingungslosen Kapitulation« bereit erklärt hatte.
Die Nachricht traf Hitler wie ein Keulenschlag. Er hatte Göring stets für korrupt gehalten und Speer, den er Artur Axmann gegenüber als die andere Enttäuschung der letzten Zeit bezeichnet hatte, für einen unberechenbaren und weltfremden Künstler. Ihr Versagen in der Stunde der Bewährung war gleichsam vorhersehbar gewesen. Der Verrat Himmlers hingegen, der die Treue beständig im Munde geführt und als die höchste Maxime seines »arisch germanischen Männerordens der SS« beschworen hatte, bedeutete den Zusammenbruch einer Welt. »Er tobte wie ein Verrückter«, hat Hanna Reitsch die Szene beschrieben, »er wurde purpurrot, und sein Gesicht war fast unkenntlich.« Zusammen mit Goebbels und Bormann zog er sich in seine privaten Räume zurück. »Er war kalkweiß«, geht der Bericht Hanna Reitschs weiter, und bot »das Bild eines schon ausgelöschten Lebens«.
Nach wenigen, noch immer um Fassung ringenden Worten ging Hitler um Mitternacht ins Krankenzimmer zu Greim hinüber. Auf der Bettkante sitzend, verpflichtete er den soeben ernannten Oberbefehlshaber der Luftwaffe, unverzüglich ins schleswigholsteinische Plön aufzubrechen und bei Dönitz alles Erforderliche zu veranlassen, um Himmler seiner verdienten Strafe zuzuführen. »Ein Verräter darf nicht mein Nachfolger sein«, sagte er, »sorgt dafür, daß er es nicht sein wird.« Greim und später auch Hanna Reitsch widersprachen. Sie hätten beschlossen, beharrten sie, im Bunker zu bleiben und gemeinsam mit Hitler in den Tod zu gehen. Auch gebe es inzwischen keine Möglichkeit mehr, aus Berlin herauszukommen.
Doch Hitler bestand auf seinem Entschluß. Er habe, sagte er, bereits eine Arado 96 herbeibeordert, die, wie er höre, mitten im Schlachtendurcheinander auf der Ost-West-Achse gelandet sei. Dann übergab er Hanna Reitsch zwei Giftphiolen »für den Notfall« und verabschiedete sich. »Bei Potsdam hört man schon deutsches Artilleriefeuer «, sagte er beim Verlassen des Raums. Anschließend lief er auf den Gang hinaus und teilte jedem Vorüberkommenden mit immer anderen Worten seine Empörung mit. Er wisse jetzt, warum Himmler an der Weichsel versagt, die SS-Offensive in Ungarn mit einer Niederlage geendet und Steiner den Angriffsbefehl verweigert habe: Es sei alles Verrat und Intrige gewesen. Der Reichsführer-SS habe sogar beabsichtigt, verbreitete er, ihn lebend dem Feind auszuliefern. Währenddessen verfaßten die verbliebenen Bunkerinsassen in großer Hast Abschiedsbriefe an ihre Familien und übergaben sie Hanna Reitsch als womöglich letztem Boten aus der Stadt. In Tränen aufgelöst, verließ sie zusammen mit Greim kurze Zeit darauf den Bunker. »Man muß knien in Ehrfurcht vor dem Altar des Vaterlandes«, sagte sie später in Beschreibung ihrer Gefühle zu General Koller. Greim wiederum äußerte, als sie wider alles Erwarten aus der Stadt herausgekommen waren, überschwenglich, die Tage an der Seite des Führers hätten auf ihn wie ein »Jungbrunnen« gewirkt.
Während die Bunkerräume noch von lauten Verratsvorwürfen widerhallten, erschien gegen zehn Uhr abends General Weidling zur Lage, und was er zu berichten hatte, machte die letzten Wahnbilder zunichte. Die Russen erzielten »Durchbruch auf Durchbruch«, meldete er, und Reserven seien nicht mehr vorhanden. Auch habe man die Versorgung aus der Luft mehr oder minder einstellen müssen. Nicht zuletzt, um den »unglaublichen Leiden der Bevölkerung« ein Ende zu setzen, schlage er folglich »als Soldat vor, den Ausbruch aus dem Berliner Kessel zu wagen«.
Doch bevor noch Hitler oder Krebs zu den Darlegungen Stellung nehmen konnten, fiel Goebbels »unter Anwendung starker Ausdrücke«, wie es in der Aufzeichnung Weidlings heißt, »über mich her und versuchte, vieles von dem lächerlich zu machen, was ich stichhaltig vorgetragen hatte«. Krebs überließ die Entscheidung Hitler, der »nach langem Nachdenken« noch einmal die Einwände zusammenfaßte, mit denen er auch bisher schon die Ausbruchsforderungen für die 9. Armee verworfen hatte. »Halten um jeden Preis!« war die Devise gewesen, die er in allen Abwehrschlachten der
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