Der Unterhändler
am Haus des großen Ausländers vorbeiführte, weinselig Richtung Heimat torkelte und sich rundum wohl fühlte, abgesehen von einem quälenden Druck auf der Blase. Als er schließlich merkte, daß er sich nun unbedingt erleichtern mußte, stellte er sich an die aus Feldsteinen aufgeschichtete Mauer des Hofes, in dem ein ramponierter SEAT Terra Minijeep geparkt war, öffnete den Reißverschluß seiner Hose und gab sich dem zweitgrößten Vergnügen eines Mannes hin. Über ihm schlief der große Mann, und wieder träumte er den schrecklichen Traum, der ihn in diese Gegend gebracht hatte. In Schweiß gebadet, mußte er dies alles zum hundertsten Male durchmachen. Noch im Schlaf öffnete er den Mund und schrie: »Nein!«
Unten an der Mauer tat Pablo vor Schreck einen Satz, fiel rücklings auf die Straße und bespritzte sich seine Sonntagshose. Dann rappelte er sich auf und lief davon, der Urin rann ihm die Beine hinab, sein Hosenschlitz war noch offen, und sein Geschlecht witterte ungewohnte Morgenluft. Wenn der ellenlange Ausländer gewalttätig wurde, mußte er, José Francisco Echevaria, sich bei Gott aus dem Staub machen. Sicher, der Fremde war höflich und sprach gut spanisch, aber irgend etwas stimmte nicht mit diesem Mann.
Mitte Januar des folgenden Jahres kam ein junger Student im ersten Semester die St. Giles Street in der uralten britischen Stadt Oxford entlanggeradelt; er war auf dem Weg zu seinem neuen Tutor und freute sich auf seinen ersten ganzen Tag am Balliol College. Wegen der Kälte trug er dicke Cordhosen und einen wattierten Anorak, aber darüber hatte er den schwarzen Umhang eines Studenten der Oxford University gezogen, und der Stoff flatterte im Wind. Später sollte er erfahren, daß die meisten Studenten diesen Umhang nur beim gemeinsamen Essen im Speisesaal des Colleges trugen, aber als Neuling war er sehr stolz darauf. Er hätte lieber im College gewohnt, aber seine Familie hatte ihm ein großes Haus mit sieben Zimmern ganz in der Nähe der Woodstock Road gemietet. Er fuhr am Martyrs’ Memorial vorbei in die Magdalen Street.
Hinter ihm hielt eine unauffällige Limousine, die ihm unbemerkt gefolgt war. In dem Auto saßen drei Männer, zwei vorne und einer hinten. Der dritte Mann beugte sich vor.
»Die Magdalen Street ist für Autos gesperrt. Du wirst zu Fuß weitergehen müssen.«
Der Mann auf dem Beifahrersitz fluchte leise und stieg aus. Mit schnellen Schritten schlängelte er sich durch die Passanten, den Blick auf den Radfahrer vor sich geheftet. Der Wagen bog nach Anweisung des Mannes auf dem Rücksitz nach rechts in die Beaumont Street und dann nach links in die Gloucester Street und wieder nach links in die George Street ein. Er hielt, nachdem er das Ende der Magdalen Street erreicht hatte, gerade als der Radfahrer auftauchte. Der Student stieg ab, nachdem er ein paar Meter in die Broad Street hineingefahren war, auf der anderen Seite der Kreuzung. Das Auto fuhr deshalb nicht wieder an. Der dritte Mann kam aus der Magdalen Street, das Gesicht vom eisigen Wind gerötet, blickte sich um, sah das Auto und stieg wieder ein.
»Scheißkaff«, sagte er. »Lauter Einbahnstraßen und Fußgängerzonen.«
Der Mann auf dem Rücksitz kicherte.
»Deswegen fahren die Studenten mit dem Rad. Vielleicht sollten wir das auch machen.«
»Paß lieber auf«, sagte der Fahrer humorlos. Der Mann neben ihm sagte nichts mehr und rückte die Waffe unter seinem linken Arm zurecht. Der Student war stehengeblieben und betrachtete ein Kreuz aus Pflastersteinen in der Mitte der Broad Street. Er wußte aus seinem Reiseführer, daß im Jahre 1555 an dieser Stelle zwei Bischöfe, Latimer und Ridley, auf Befehl Marias der Katholischen bei lebendigem Leibe verbrannt worden waren. Als die Flammen hochzüngelten, rief Bischof Latimer seinem Leidensgenossen zu: »Seid getrost, Master Ridley, und sterbt wie ein Mann. Wir werden an diesem Tag mit Gottes Gnade eine Kerze in England entzünden, die gewißlich nie mehr verlöschen wird.«
Er meinte die Kerze des protestantischen Glaubens, aber was Bischof Ridley erwiderte, ist nicht überliefert, denn er brannte in jenem Moment bereits lichterloh. Ein Jahr darauf folgte ihnen Erzbischof Cranmer an derselben Stelle in den Tod. Das Feuer des Scheiterhaufens hatte das nur wenige Meter entfernte Tor des Balliol College versengt. Später wurde das Tor ausgehängt und am Eingang zum Innenhof angebracht, wo die Brandspuren heute noch deutlich zu sehen sind.
»Hallo«, sagte
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