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Der Unterhändler

Der Unterhändler

Titel: Der Unterhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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hätte ein Opfer im Kolosseum zu Rom den Löwen erzählen können, es sei eigentlich ein sehr magerer Christ. Der Lärm nahm noch zu. Zwar gingen viele Fragen in dem Tohuwabohu unter, aber manche erreichten dennoch hundert Millionen Amerikaner und säten den Keim des Mißtrauens. Ob das Weiße Haus den Briten die Schuld gebe? Äh, nun ja, nein … Warum nicht, hatten die nicht dort drüben das Sagen? Nun ja, schon, aber … Mache das Weiße Haus also den Secret Service verantwortlich? Eigentlich nicht … Warum, wollte man wissen, sei der Präsidentensohn nur von zwei Männern bewacht worden, wie sei er auf die Idee gekommen, in einer abgelegenen Gegend praktisch allein herumzurennen? Ob es wahr sei, daß Creighton Burbank seinen Rücktritt angeboten habe? Ob sich die Kidnapper schon gemeldet hätten? Die letzte Frage konnte Lipton wahrheitsgemäß mit »nein« beantworten, aber man versuchte ihn bereits dazu zu bringen, daß er seine Instruktionen überschritt.
    Lipton zog sich schließlich hinter die Stellwände zurück, schweißgebadet und entschlossen, nach Grand Rapids zurückzukehren, wo er zu Hause war. Pressesprecher im Weißen Haus zu sein – von diesem Amt blätterte der Lack bereits rasch ab. Die Nachrichtenredakteure und Leitartikler würden ja doch schreiben, was sie wollten, ohne Rücksicht darauf, wie die Fragen beantwortet wurden. Schon am Abend dieses Tages wurde in der Presse der Ton gegenüber Großbritannien ausgesprochen feindselig.
    In der britischen Botschaft an der Massachusetts Avenue gab der Presseattaché, der auch schon von CYA gehört hatte, eine Erklärung ab. Während er zum Ausdruck brachte, wie betroffen und bestürzt sein Land über das Vorgefallene sei, ließ er zweierlei einfließen: daß sich die Thames Valley Police auf amerikanisches Ersuchen eigens sehr zurückgehalten habe und daß Sergeant Dunn als einziger auf die Entführer zwei Schüsse abgefeuert und dafür sein Leben gegeben hatte. Es war nicht das, was man hören wollte, gab aber immerhin einen kurzen Artikel her. Es gab auch Anlaß dafür, daß der anwesende Creighton Burbank vor Zorn fauchte. Beide Männer wußten, daß das Ersuchen, ja das nachdrückliche Bestehen Simon Cormacks auf Zurückhaltung, über seinen Vater gekommen war, durften es aber nicht sagen.
    Die Sitzung des Krisenmanagements, der Professionals, im Lageraum des Souterrains, dauerte den ganzen Tag über. Die Teilnehmer kontrollierten die vom COBRA -Komitee in London eintreffenden Informationen und berichteten, wenn dies notwendig wurde. Die NSA intensivierte die Überwachung des Telefonverkehrs nach und aus Großbritannien, für den Fall, daß die Kidnapper über einen Satelliten anriefen. Die Verhaltensforscher des FBI in Quantico hatten eine Liste mit Psychoporträts früherer Kidnapper erstellt, aufgeschrieben, was die Cormack-Entführer möglicherweise tun oder nicht tun würden, und dazu, wie sich die englischen und amerikanischen staatlichen Organe verhalten sollten. Man war in Quantico überzeugt, daß man hinzugezogen und en masse nach London geflogen werden würde, und höchst verwundert über die Verzögerung, obwohl keiner dieser Männer jemals vorher in Europa tätig gewesen war.
    Das Ministerkomitee im Cabinet Room lebte von seinen Reserven an Nervenkraft, Kaffee und Antazidum-Tabletten. Dies war die erste große Krise der Präsidentschaft Cormacks, und die schon älteren Politiker erhielten in dieser harten Schule die erste Lektion des Krisenmanagements: Es wird dich eine Menge Schlaf kosten, also schlafe, so viel du kannst, solange du es noch kannst. Die Kabinettsmitglieder, die sich um 4   Uhr morgens von ihren Betten erhoben hatten, waren um Mitternacht noch immer auf den Beinen.
    Zu dieser Stunde war die VC 20 A schon ziemlich weit westlich der Azoren über dem Atlantik und hatte noch dreieinhalb Stunden bis zum Landfall und vier bis zur Landung vor sich. In dem geräumigen hinteren Teil lagen die beiden Veteranen Weintraub und Quinn im Schlaf, weiter hinten schliefen die drei Männer der Crew, die den Jet nach Spanien geflogen hatte, während ihn die zweite nach Amerika zurückbrachte.
    Die Männer im Cabinet Room blätterten das Dossier über den Mann namens Quinn durch, das aus den Akten in Langley ausgegraben und mit Ergänzungen aus dem Pentagon zusammengestellt worden war. Auf einer Farm in Delaware geboren, hieß es darin; mit zehn die Mutter verloren; jetzt sechsundvierzig. 1963 mit achtzehn in die Infanterie eingetreten,

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