Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter
er die Decke zurückschlägt, denkt er wieder an Zara. Daran, was er vor etwa einer Stunde noch gemacht hat. Auf dem Sofa. Zara unter ihm. Mann, was für eine Nacht! Er muss lachen. Ruhe. Tom darf dich nicht hören. Gib ihm keinen Grund, am Morgen unangenehme Fragen zu stellen. In Toms Zimmer herrscht Stille. Er legt sich hin, findet den Gedanken an Zara aufregend. Genauso wie den Gedanken an die beiden reinstürmenden Killer. So was sollte er nicht aufregend finden. Das waren zwei Typen, die ihn hätten umbringen können. Bei dem Gedanken erschaudert er. Warum findet er das Ganze bloß so aufregend? Es fällt ihm immer leichter zu verstehen, warum so viele Leute dieses zwielichtige Leben verlockend finden.
Er lässt die Finger durch sein Haar gleiten. Plötzlich durchfährt ihn ein Schmerz. Der Schock ist mindestens so schlimm wie der Schmerz. Einer der Killer hat ihm einen Schlag an den Kopf verpasst. Vielleicht mit der Faust, vielleicht aber auch mit der Waffe. O Gott, ein Schlag mit der Waffe. Die hätte losgehen können. Hätte ihm das Hirn wegpusten können. Scheiße! Vorsichtig betastet er die Beule. Offenbar kein Blut. Keine Wunde. Bloß eine Beule. Er steigt aus dem Bett, schaltet die Lampe an und holt sich aus einer Schublade einen kleinen Rasierspiegel. Unter seinem Haar ist die Beule nicht zu sehen. Am Morgen wird er sich das Ganze im Badezimmerspiegel noch mal genauer betrachten. Im Moment sieht es so aus, als könnte niemand die Beule entdecken.
Er hat ganz vergessen, wie jämmerlich er eine Weile auf dem Boden lag. Hat es vorgezogen, das zu vergessen. Das war peinlich. Er hat Zara enttäuscht. Sich lächerlich gemacht. Wenigstens erfährt niemand davon. Wer sollte schon davon sprechen? Die Killer würden bestimmt nicht verraten, wo sie waren und was sie gesehen haben. Zara würde es nie weitererzählen und ihn damit demütigen. Und er würde es auf jeden Fall für sich behalten. Als er sich wieder ins Bett legt und die Lampe ausschaltet, muss er noch mal an sie denken. Daran, wie sie nackt an der Hintertür stand und ihn zum Abschied küsste. Diesmal ist er nicht aufgeregt, sondern besorgt. Besorgt um sie. Wo sie in diesem Moment wohl ist?
24
Zara sitzt in der sogenannten Opfersuite. Kein Verhörraum, nicht so kühl und förmlich. Sie ist die junge Frau, die Zeugin eines schrecklichen Verbrechens wurde. Man bringt ihr Verständnis und Mitgefühl entgegen. Behandelt sie so, dass sie nicht den geringsten Grund zur Klage hat. Die ganze Zeit ist eine Polizistin bei ihr. Macht ihr eine Tasse Tee, fragt, ob sie sonst noch was will. Behält sie im Auge. Ihr zuliebe und auch der Polizei.
»Ich würde mich gern umziehen«, sagt Zara, »in diesen Sachen komm ich mir dumm vor.« Und das stimmt. Sie trägt noch die Kleidung, in der sie durch die Clubs gezogen ist, und in dieser Umgebung wirkt das noch lächerlicher.
»Wenn Sie wollen, suche ich Ihnen was anderes raus, oder ich lasse Ihnen was von zu Hause bringen.«
»Meine ganzen Sachen sind in unserem Schlafzimmer«, erwidert Zara leise und fängt wieder an zu weinen.
Echte Tränen. Der Schock über das, was ihr zugestoßen ist. Die Angst vor dem, was als Nächstes passieren könnte. Die Erkenntnis, dass Lewis nicht mehr da ist. Dass er niemals wiederkommt. Was soll sie bloß ohne ihn anfangen? Sie muss sich ja nicht nur jemand anderen suchen. Lewis war gutherzig und geduldig. Er hat sie so leben lassen, wie sie wollte. Sie hat das ausgenutzt, hat sich sein Wesen zunutze gemacht. Vielleicht war das unfair. Wo soll sie noch mal so jemanden finden? Da gibt’s nicht viele im Geschäft. In ihrem Leben gab’s nur zwei Männer, für die sie je Liebe empfunden hat. Der eine war Nate Colgan, doch da war die Liebe mit Angst verbunden. Und der andere Lewis. Bei ihm war die Liebe mit Verachtung verbunden.
Die Polizistin weiß, dass die Tränen echt sind. Sie macht diesen Job schon lange genug, um den Unterschied zu erkennen. Hat in diesem Raum schon genug Krokodilstränen gesehen. Sie erkennt auch, ob ein Opfer unter Schock steht, das scheint hier aber nicht der Fall zu sein. Zara Cope geht mit der Situation bewundernswert gefasst um, auch wenn sie die Tränen nicht zurückhalten kann. In der Suite gibt es eine kleine Küche, die ins Wohnzimmer führt. Sofa, Fernseher, Lufterfrischer. Der verzweifelte Versuch, den Eindruck zu erwecken, dass man sich hier an einem sicheren, einladenden Ort befindet. Aber man kann nicht vergessen, dass man auf einem Polizeirevier
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