Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter
sie die Gelegenheit hat, noch mal nachzudenken.
»Das bestimmen Sie ganz allein«, sagt er und erhöht ein bisschen den Druck.
»Ich hab nichts dagegen«, sagt sie mit einem Schulterzucken. Sie versucht sich den Anschein zu geben, als hätte sie nichts zu verbergen, doch sie denkt über einen Anwalt nach. Wenn man ihr unangenehme Fragen stellt, sollte sie vielleicht jemanden haben, der sie schützt.
»Wenn Sie uns jetzt ein paar Fragen beantworten könnten, wäre das sehr hilfreich«, sagt er. »Das hilft uns, die Leute, die das getan haben, sofort zu verfolgen. Ich werde Sie nicht viel fragen, nur das Allernötigste.« Genug beruhigende Worte, um ihre Zustimmung, ja vielleicht sogar ihr Vertrauen zu gewinnen.
»Ja«, sagt sie, ihre Stimme vom Weinen ein bisschen heiser, »okay.«
»Also, erzählen Sie mir einfach, was Sie gesehen haben, woran Sie sich erinnern können. Regen Sie sich nicht auf«, sagt er und merkt sofort, wie überflüssig es ist, das zu sagen. »Tja, erzählen Sie einfach … äh … woran Sie sich erinnern, so gut Sie dazu imstande sind.« So ein Getue muss man bei jedem machen. Aber es gibt genug, die das nicht verdient haben. Und sie ist so jemand. Das Flittchen eines Dealers. Also bitte.
»Wir waren tanzen«, sagt sie und versucht zu entscheiden, was sie sagen kann und was sie besser auslässt. »Wir sind mit dem Taxi nach Hause gekommen. Irgend so ein Typ hat sich das Taxi mit uns geteilt. Lewis war betrunken. Der Typ hat mir dann noch geholfen, ihn zur Haustür zu bringen.«
Schon jetzt könnte er ihr hundert Fragen stellen. Am liebsten würde er diese bescheuerte Schlampe sofort unterbrechen. Na los! Scheiß aufs Protokoll und stell die Fragen, die einen Mörder überführen könnten. Nee. Geht nicht. Damit schneidest du dir nur ins eigene Fleisch.
Sie fährt mit ihrer Geschichte fort. Erzählt ihm, dass sie Lewis allein die Treppe raufgebracht hat, dass er noch halbwegs gehen konnte. Dass sie ihn aufs Bett hat fallen lassen.
»Noch bevor ich wieder die Treppe runter war, konnte ich ihn schon schnarchen hören«, sagt sie. Wieder wird sie von einem Schluchzen geschüttelt. Die Polizistin reicht ihr noch ein Papiertaschentuch. Fisher wittert bereits, dass sie ihm Scheiße erzählt. Lauter Widersprüche, dabei hat sie gerade erst angefangen. Sie brauchte Hilfe, um Lewis zur Haustür zu bringen, aber nach oben hat sie ihn allein gebracht? Komm schon. »Als ich nach unten kam, hab ich mir ein Glas Whisky eingeschenkt. Ich hatte bei weitem nicht so viel getrunken wie Lewis den ganzen Abend über. Ich setzte mich aufs Sofa, und plötzlich hörte ich einen Knall. Hat sich so angehört, als hätte jemand was an die Tür geworfen. Dann noch ein Knall, und die Tür flog auf. O Gott!«, sagt sie und stützt den Kopf in die Hände.
Vielleicht ist das gar nicht gespielt, denkt er sich. Wenn doch, dann ist sie gut. Eine wahre Künstlerin. Gespielt oder nicht, man darf ihr nicht trauen.
»Sie kamen ins Haus. Sie waren ganz in Schwarz gekleidet. Beide hatten Sturmhauben auf. Beide hatten eine Waffe. Einer von ihnen blieb unten und richtete die Waffe auf mich. Der andere ging direkt nach oben. Als wüsste er, wo er hinwollte. Ich … ich weiß nicht, woher. Er war oben … Keine Ahnung, wie lange. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Können aber auch nur zwei Minuten gewesen sein. Dann hörte ich den Knall.« Sie hält kurz inne, offenbar wegen des dramatischen Effekts. »Dann kam er wieder runter, und die beiden sind einfach verschwunden. Keine Ahnung, was als Nächstes passiert ist. Ich weiß nur noch, dass ich auf dem Sofa saß. Dann hab ich angerufen.«
Alles scheint ganz einfach zu sein. Zwei Männer dringen ins Haus ein – einer, um die Zeugin in Schach zu halten, einer, um den Mord zu begehen. Die Geschichte klingt glaubhaft.
»Können Sie sich bei den beiden an irgendwas erinnern, das uns helfen könnte?«, fragt er. »Größe, Gewicht, Akzent, irgendwas.«
»Die haben nicht geredet«, erwidert sie. »Keiner von beiden hat ein Wort gesagt.«
Profis.
»Der, der nach oben ging, war größer als der, der bei mir blieb. Ziemlich groß. Über eins achtzig, würde ich sagen. Genau weiß ich’s nicht. Der andere war, ich weiß auch nicht, so mittelgroß. Beide sahen normal aus. Nicht dick oder so. Keine Ahnung. Gott, ich wünschte, ich wäre eine größere Hilfe.«
Sie erzählt eine gute Geschichte, und er hat sie so weit in die Enge getrieben, wie es ging. Eine letzte Frage. Bloß eine
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