Der Väter Fluch
Ausdruck.«
»Es ist... Englisch.«
»Nur wenn man Teppichreiniger verkauft.«
Sie saßen im Speisesaal des Pflegeheims. Achtzig über achtzig Jahre alte Juden, die große Mehrzahl von ihnen Frauen. Einige von ihnen mussten in ihrer Jugend echte Schönheiten gewesen sein - das sah man an ihren immer noch ebenmäßigen Gesichtszügen. Aber die Zeit hatte sie in die Kategorie »ältere Menschen« eingeordnet, was in mancher Hinsicht auch gewisse Erleichterungen mit sich brachte; vor allem für die Frauen hatte der Druck nachgelassen. Heute brauchten sie sich wegen des Extrastückchens Kuchen keine Sorgen mehr zu machen, und wenn sie aßen und ihr Gewicht hielten, galt dies als Zeichen guter Gesundheit. Wie nicht anders zu erwarten, unterschieden sich die Bewohner auch in ihrem persönlichen Erscheinungsbild ganz beträchtlich. Einige Frauen hatten Makeup aufgelegt und sich mit Schmuck herausgeputzt, während andere, nicht immer die ältesten, sich mit Morgenmänteln und Pantoffeln begnügten. Das bin ich in fünfzig fahren, dachte Rina, wenn ich Glück habe. Ganz egal, wie wichtig und bedeutsam die Gegenwart auch sein mochte - sie würde sich bald in die Vergangenheit verwandeln, denn so war nun einmal der Lauf der Dinge. Rina hatte zu viele frühe Tode miterlebt, um ihres eigenen Älterwerdens wegen in Depression zu verfallen.
Sie strich ihren roten Baumwollrock glatt und schob die Ärmel ihrer weißen Bluse bis zu den Ellbogen hoch. Die Klimaanlage lief zwar, aber die Luft fühlte sich lauwarm an, denn ein zu kühler Luftzug würde den im Saal versammelten alten Menschen mit ihren fragilen Knochen und geschwollenen Gelenken nicht gut tun. Zwanzig Tische waren über den von Neonlicht durchfluteten Raum verteilt. Durch die geöffneten Fensterläden konnte Rina einen Blick auf den Mond und die Sterne werfen. Der schwarzweiß karierte Linoleumboden war ausgebleicht, aber sauber, und die Wände hatte man vor kurzem mit einem Rosenrankenmuster neu tapeziert. Lateinamerikanische Frauen in weißen Arbeitskitteln schoben Rollwagen zwischen die Tische und verteilten die Tagessuppe: Hühnernudelsuppe.
Das stellte Rina vor ein Problem.
Zuerst hatte die Küche sich geweigert, Rina Oscar ihre Suppe servieren zu lassen, und zwar weniger aus gesundheitlichen Gründen - sie hatte ganz bewusst auf Salz verzichtet -, sondern weil die Diätassistentin befürchtete, dass Rinas gehaltvolle Suppe einen Aufstand unter den Bewohnern auslösen würde. Also bot Rina an, Oscar die Suppe in seinem Zimmer zu geben. Aber auch dieser Vorschlag wurde abgelehnt. Was wäre, wenn Oscar daran erstickte? (Ganz offensichtlich musste Oscar sehr häufig würgen.) Daraufhin machte Rina das Angebot, sich mit Oscar auf die Terrasse des Pflegeheims zu setzen. Und auch das wollte man ihr nicht gestatten.
Nach zwanzig Minuten des Bettelns und Verhandelns lenkte die Diätassistentin schließlich ein: Oscar durfte seine Suppe im Speisesaal mitten unter den anderen Bewohnern zu sich nehmen.
Doch das gefiel den meisten nicht. Neidisch beäugten sie seine Mahlzeit. Und noch komplizierter wurde die Angelegenheit dadurch, dass Oscar beim Essen schmatzte - halb unbewusst, halb absichtlich.
»Sie ist gut«, verkündete er.
»Natürlich. Sie ist ja auch hausgemacht.«
»Nicht jede hausgemachte Kohlsuppe ist gut. Manchmal sind sie zu fettig.«
»Meine nicht.«
»Vielen Dank.«
Oscar nickte; sein Kopf wirkte wie eine Baumwollkapsel auf einem langen, dünnen Stiel. Er trug ein kurzärmliges, blaurot gestreiftes Hemd und eine beigefarbene Hose. Seine Ellbogen waren so knochig und spitz, dass er dafür eigentlich einen Waffenschein gebraucht hätte. Er aß geräuschvoll, bis die Schale leer war. Dann schob er sie Rina hin. »Hast du noch mehr?«, wollte er wissen.
»Für morgen.«
»Warum für morgen?«
»Die Diätassistentin hat gesagt, dass Sie nur zwei Teller essen dürfen.«
»Warum?«
Rina zuckte die Achseln.
»Ich hab jetzt Hunger. Gib mir noch was Suppe.«
»Das darf ich nicht. Sie sagte, zwei Teller. Wenn ich nicht auf sie höre, wirft sie den Rest der Suppe weg.«
»Warum zwei Teller?«
Rina beugte sich zu ihm hinüber. »Ich glaube, die anderen werden sonst neidisch...«
»Naaah.«
»Ich glaube, Sie bekommen noch etwas vom normalen Abendessen, wenn Sie wollen...«
»Naaah.«
»Möchten Sie auf Ihr Zimmer gehen, Oscar?« Er dachte einen Moment darüber nach und schüttelte dann den Kopf.
• »Sollen wir ein wenig spazieren gehen?« Erneutes
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