Der Vampir der mich liebte
gefährlichen Zeit an diesen gefährlichen Ort geführt hatten. Ich stand kurz vor einem Kampf, dessen gegnerische Seiten doch beide ziemlich fragwürdig waren. Wenn ich zuerst an Hallows Hexenzirkel geraten wäre, hätte ich mich wahrscheinlich überzeugen lassen, dass die Werwölfe und die Vampire ausgelöscht gehörten.
Ziemlich genau vor einem Jahr hatte noch niemand auf der Welt richtig verstanden, wer ich war, oder sich für mich interessiert. Ich war einfach die durchgeknallte Sookie, die mit dem wilden Bruder, eine Frau, die von anderen bemitleidet wurde und der jeder aus dem Weg ging, so gut er eben konnte. Und hier stand ich nun, in einer eiskalten Straße in Shreveport, Hand in Hand mit einem Vampir, dessen Gesicht weltberühmt und dessen Hirn nichts als Brei war. War das jetzt besser?
Und ich war nicht mal hier, um mich zu amüsieren, sondern weil ein Haufen übernatürlicher Geschöpfe Informationen benötigte über einen anderen Haufen gemeingefährlicher, bluttrinkender und gestaltwandlerischer Hexen.
Ich seufzte, unhörbar, wie ich hoffte. Na ja. Wenigstens hatte mich bis jetzt noch keiner zusammengeschlagen.
Ich schloss die Augen, ließ alle Schutzbarrieren fallen und sandte meine Gedanken zu dem Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus.
Gehirne, eifrige, lebhafte, vielbeschäftigte. Ich war verblüfft von der schieren Menge an Eindrücken, die mich erreichte. Vielleicht lag es daran, dass kaum Menschen in der näheren Umgebung waren, oder an der überwältigenden Präsenz der Magie: Irgendetwas hatte meinen anderen Sinn so geschärft, dass es wehtat. Dieser Fluss an Informationen machte mich ganz benommen, und ich musste sie erst mal sortieren und organisieren, stellte ich fest. Zuerst zählte ich Gehirne. Nicht im wörtlichen Sinn (»Ein Schläfenhirnlappen, zwei Schläfenhirnlappen ...«), sondern als Gedankenformationen. Ich kam auf fünfzehn. Fünf waren im vorderen Teil, im ehemaligen Verkaufsraum des Ladens. Eins war im kleinsten Raum, wahrscheinlich der Toilette, und der Rest befand sich im dritten und größten Raum, der nach hinten hinausging. Das waren wohl die Arbeitsbereiche.
Alle in dem Gebäude waren wach. Ein schlafendes Gehirn gibt zwar immer noch ein leises Murmeln hier und da von sich, während es träumt, ist aber gar nicht zu vergleichen mit einem wachen Gehirn. Das ist wie der Unterschied zwischen einem im Schlaf zuckenden Hund und einem herumtobenden Welpen.
Um so viele Informationen wie möglich zu bekommen, musste ich näher heran. Ich hatte noch nie versucht, so genaue Details wie Schuld oder Unschuld innerhalb einer Gruppe zu unterscheiden, und war nicht sicher, ob das überhaupt ging. Doch wenn sich da in dem Gebäude Leute befanden, die keine bösen Hexen waren, sollten sie nicht in das verwickelt werden, was passieren würde.
»Näher ran«, wisperte ich Bubba zu. »Aber mit Deckung.«
»Ja, Ma'am«, flüsterte er zurück. »Werden Sie Ihre Augen geschlossen halten?«
Ich nickte, und er führte mich sehr vorsichtig über die Straße und in den Schatten des Müllcontainers, der ungefähr zehn Meter südlich vom Gebäude entfernt stand. Ich war froh über die Kälte, denn so hielt sich der Müllgestank wenigstens in erträglichen Grenzen. Die fast verwehten Düfte von Krapfen und Blumen mischten sich mit dem Geruch verdorbener Dinge und alter Windeln, die vorbeigehende Fußgänger in den so praktisch dastehenden Behälter geworfen hatten. Das Ganze harmonierte nicht gerade aufs Glücklichste mit dem Geruch der Magie.
Ich richtete meine Gedanken erneut aus, blockte den Angriff auf meinen Geruchssinn ab und begann zuzuhören. Obwohl ich damit inzwischen besser klarkam, war es immer noch so, als versuchte ich, zwölf Telefonaten gleichzeitig zu lauschen. Einige von ihnen waren Werwölfe, was die Sache zusätzlich komplizierte. Ich verstand nur Satzfetzen und kleine Ausschnitte.
... hoffe bloß, dass das keine Vaginalinfektion ist...
Sie will einfach nicht auf mich hören, sie glaubt, Männer können so etwas nicht.
Und wenn ich sie in eine Kröte verwandle, wer würde den Unterschied bemerken?
... hätten wir bloß etwas mehr Diätcola gekauft...
Ich werde diesen verdammten Vampir finden und ihn töten ...
O Mutter der Erde, erhöre mein Flehen.
Ich stecke da schon zu tief drin ...
Ich muss mir eine neue Nagelfeile kaufen ...
Das war alles nicht sehr aufschlussreich, aber keiner hatte gedacht, »Oh, diese dämonischen Hexen halten mich
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