Der Venuspakt
ihnen hatte Kieran für Freunde gehalten. So leichtgläubig wie
in seinen ersten Jahren war der Vampir jedoch schon lange nicht mehr. Selbst
den eigenen Geschwistern vertraute er nicht vorbehaltlos.
Und Freunde? Freunde brauchte er nicht! Dennoch war es zumindest Do-
nates gelungen, sich in sein Leben einzuschleichen. Kieran bewunderte die
Leichtigkeit, mit der sein Schützling das Dasein nahm und dabei seine Auf-
gaben als Vengador doch gewissenhaft erfüllte. Er hoffte, den Tag niemals er-
leben zu müssen, an dem Donates oder seine Gefährtin versuchten, sein Ver-
trauen zu missbrauchen.
Kieran! Asher schaute seinen Bruder durchdringend an. Du hast keine Schuld
an Maires Tod! Wir haben das doch schon tausendmal diskutiert! Sie hat sich umge-
bracht, weil sie ihre Visionen fast wahnsinnig machten. Visionen, die ihr zweifellos
auch meine Zukunft in Dunkelheit zeigten.
Sie hat sich ihren Dolch ins Herz gerammt, weil sie sich schuldig fühlte an den be-
unruhigenden Veränderungen, die mit mir geschahen. Und alles, woran ich denken
konnte, als ich sie sterbend fand, war der Duft ihres Blutes. Verstehst du? Es hat mich
geil gemacht und statt ihr zu helfen, wollte ich sie vögeln!
Du hast kurz vor deiner Wandlung gestanden. Viele junge Vampire haben anfangs
Schwierigkeiten, zwischen sexueller Erregung und Blutlust zu unterscheiden.
Und was ist mit dem Fluch? Kieran erinnerte sich auch heute noch ungern
an die Nacht nach Maires Beerdigung. Ihre Mutter war aus dem Feenreich er-
schienen und hatte ihn beschuldigt, ihre Tochter getötet zu haben. Niemals,
so drohte sie mit schriller Stimme dem völlig verstörten jungen Mann, solle es
ihm vergönnt sein, das Herz einer Seelengefährtin zu gewinnen.
Asher sah seinen Bruder mitleidig an. Er war überzeugt, dass dieser Fluch
sich als wirkungslos erweisen würde, sobald Kieran endlich aufhörte, sich die
Schuld am Tod seiner Frau zu geben. Man kann der Feenkönigin einiges an un- angenehmen Eigenschaften nachsagen. Ungerechtigkeit gehört nicht dazu. Ihr hattet
doch beide keine Ahnung!
Kieran wünschte sich nichts mehr, als dass sein Bruder Recht haben möge.
In einer kleinen Ecke seines Herzens hatte die Hoffnung auf Liebe, wie bei
jedem geborenen Vampir, viele Jahrhunderte überlebt. Sie war nach der ers-
ten Begegnung mit Nuriya gewachsen. Und Asher nährte diese kleine Flamme
Hoffnung auch noch.
Kieran verschränkte die Arme vor der Brust. Breitbeinig stand er mitten im
Raum und schaute seinen Bruder aus schmalen Augen feindselig an. Niemand
hätte bei diesem Anblick Lust verspürt, den Vengador zu provozieren.
«Selbst wenn das Schicksal eine gemeinsame Zukunft geplant haben sollte,
muss sie sich freiwillig entscheiden, eine unauflösliche Verbindung mit mir
einzugehen. Und das wird sie niemals tun, wenn sie weiß, dass ich ihr das Le-
ben genommen habe!»
«Du hast ihr doch nicht das Messer zwischen die Rippen gerammt! Du hast
sie vor dem sicheren Tod bewahrt!»
«Ach ja? Und wer sagt, dass sie mit dieser Alternative einverstanden ist?»
«Als Auserwählte hat sie gar keine Wahl. Sie muss sich mit einem Vampir
verbinden und dabei selbst zu einer von uns werden, um den Pakt zu erneu-
ern. Die Feen haben das Mädchen nicht ohne Grund für diese Aufgabe vorbe-
stimmt.»
Kieran trat ganz nah an Asher heran. Die Luft zwischen den beiden Brüdern
schien zu vibrieren, während sie sich finster anstarrten.
Kieran brach als Erster das Schweigen und grollte: «Genug! Ich warne euch,
kein Wort zu dem Feenkind!»
Der Raum schien plötzlich für die wütenden Alpha-Vampire zu klein ge-
worden zu sein. Angelina fand, dass es an der Zeit war, die Situation zu ent-
schärfen, bevor die drei etwas taten, was sie später bereuen würden.
Leichtfüßig ging sie auf die beiden mächtigen Brüder zu und legte beru-
higend ihre Hand auf Kierans Arm. «Du kannst auf uns zählen!», versprach
sie ihm mit warmer Stimme. Als sie merkte, dass sie seine Aufmerksamkeit
hatte, fuhr sie fort: «Und Kieran, ich möchte jetzt gerne einmal nach Nuriya
sehen.»
Erst sah es aus, als wollte er ihr widersprechen. Doch schließlich besann er
sich offenbar auf seine Manieren und trat beiseite, um ihr Zugang zu der unte-
ren Etage, wo Nuriya friedlich schlummerte, zu gewähren.
Asher nutzte die Gelegenheit und verabschiedete sich mit dem Verspre-
chen, etwas über die Drahtzieher des Überfalls herauszufinden. Donates mur-
melte, er müsse nach Erik sehen.
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