Der Venuspakt
Tages zogen
die dunklen Kämpfer für ihren Gott der Abenddämmerung in den Krieg und
ließen nur wenige Wächter zum Schutz ihrer Besitzungen zurück.
Diese Gelegenheit nutzten die Nachkommen Shahars, die ›Kinder des
Lichts‹, wie sie sich auch nannten. Sie überfielen ihre Nachbarn und brannten
deren Siedlungen nieder. Nur wenige konnten sich retten. Als ihre Krieger zu-
rückkehrten, stiegen sie nicht einmal von den erschöpften Pferden, sondern
fielen nun ihrerseits in die benachbarten Dörfer ein, um blutige Rache zu neh-
men. Da das Volk des Lichts sich vor den kampferprobten Gegnern fürchtete,
hielten sie ihre jungen Frauen in unterirdischen Höhlen versteckt. Und tat-
sächlich überlebte kaum jemand außer diesen den grausamen Vergeltungs-
schlag. Die Zwillinge waren erbost über ihre undankbare Brut und wollten sie
schließlich nun doch, wie ihr Vater einst befohlen hatte, vernichten.
Erneut griff die Göttin der Liebe, die ihr wahrscheinlich unter dem Namen
Venus kennt, ein. Die Kriegerin in ihr mochte nicht mehr auf die Dienste der
stattlichen dunklen Kämpfer verzichten. Sie hatte die Nachkommen ihres
Sohnes Shalim von Anfang an heimlich gefördert. Als Liebesgöttin hatte sie
aber auch eine Schwäche für die bezaubernden Töchter ihres Sohnes Shahar,
die Lichtelfen. Sie entließ ihre unerfahrenen Zwillinge aus der Verantwortung
für deren missratene Nachkommenschaft und entschied Folgendes:
Die Dunkelelfen durften sich zukünftig nur noch vom Blut ihrer Opfer
nähren. Sie sollten in Dunkelheit leben und – ihrer finsteren Neigungen zum
Trotz – gegen Dämonen kämpfen, die ihre Magie missbrauchten.
Da die Lichtelfen sich in Wäldern und Erdhöhlen versteckt gehalten hatten,
sollten sie auch dort ihr Reich bekommen und ihr Geschick im Umgang mit
Pflanzen und Tieren zum Nutzen der Menschen einsetzen.»
Die Schwestern waren sprachlos. Endlich räusperte sich Selena: «Was für
eine Story! Glaubst du, sie stimmt?»
Angelina dachte an die Herkunft ihrer vampirischen Familie, die nicht we-
niger märchenhaft klang, und nickte. «Ich habe diese Geschichte zum ersten
Mal gehört, als ich noch ein kleines Mädchen war. Damals hielt ich sie nur
für eine wunderbare Gute-Nacht-Geschichte. Inzwischen glaube ich, wie üb-
rigens auch die meisten Feen, dass hierin der Ursprung der Feindseligkeiten
zwischen ihnen und den geborenen Vampiren liegt.»
«Ist Donates auch ein geborener Vampir – oder fragt man so etwas nicht?»
«Mich kannst du alles fragen!», lachte Angelina. Dann wurde sie ernst und
ein Anflug von Stolz war in ihrer Stimme zu hören, als sie erklärte: «Das Blut
in unseren Adern ist um einiges älter. Wir sind Nachfahren von Lilith, die
Sterblichen kennen uns unter der Bezeichnung ›Nachthexen‹. Aber davon er-
zähle ich euch ein andermal.»
Gedankenverloren sah Nuriya währenddessen ihre Schwester an. Das au-
ßergewöhnliche Talent zu Heilung kranker Tiere und der ›grünen Daumen‹
machten Selena gewissermaßen zum Prototyp einer Lichtelfe. Sie hatte kei-
nen Zweifel am Wahrheitsgehalt von Angelinas Erzählungen. «Dann sind
Feen und geborene Vampire gar nicht so unterschiedlich? – Aber wieso bin ich
zum ...», Nuriya zögerte kurz, bevor sie weitersprach, «Vampir geworden?»
Angelina berichtete den entsetzten Schwestern vom Überfall in der Nähe
des Hellfire und wie sie hinzugekommen waren, um die Mädchen in Sicher-
heit zu bringen.
«Ich kann mich an nichts mehr erinnern!», stöhnte Nuriya.
«Du hattest viel Blut verloren. Ohne unser Eingreifen wärst du dort auf der
Straße gestorben.»
Das war natürlich nur die halbe Wahrheit.
Den besonderen Anteil Kierans an der Rettung und welch großes Risiko er
damit eingegangen war, verschwieg Angelina ebenso wie die Geheimnisse des
Venuspakts. Angelina fand, Nuriya würde noch früh genug erfahren, welche
Verantwortung auf ihren zarten Schultern lag, und sollte so unbelastet wie
möglich lernen, ihre neuen, aber auch die alten Kräfte zu kontrollieren.
Die Vampirin beugte sich vor, als sie sagte: «Du musst keine Angst haben –
es ist nicht notwendig zu töten, um sich zu ernähren. Das mag früher einmal
so üblich gewesen sein, aber heute sind wir zivilisierter. Ein paar Schlucke
reichen im Normalfall völlig aus und die Spender brauchen dabei nicht zu lei-
den. Die Sterblichen stehen unter unserem Schutz und das Töten ist vom Rat
strengstens untersagt – es wird schwer
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