Der Venuspakt
wusste, dass sie so tun sollte, als wären sie Fremde. Kieran gelang
die Täuschung perfekt. Er wirkte so distanziert und kühl, als wären sie sich
tatsächlich nie zuvor begegnet. Traurig dachte sie, dass ihre Erinnerung an
seine Zärtlichkeiten wahrscheinlich ebenso trügerisch war wie sein jetziges
Begrüßungslächeln.
Sie hatte keine Ahnung, welche Kraft es ihn kostete, Donates nicht anzu-
greifen, der seiner Meinung nach viel zu nahe bei dem Feenkind stand.
Nik ahnte Kierans Unruhe und beschloss, noch ein wenig Öl ins Feuer zu
gießen. Er griff nach Nuriyas Hand. «Es wird Zeit, dass wir der Master-Vampi-
resse der Stadt unsere Aufwartung machen.»
«Ich begleite euch!», grollte Kieran.
Insgeheim lachte Nik. Auch wenn dieser Vampir es verstand, seine Gefühle
wahrlich meisterhaft zu verbergen, für Nik war es klar, dass Kieran eindeutig
Interesse an dem Feenkind hatte. Er kannte die Anzeichen – schließlich hatte
er ausreichend Gelegenheit gehabt, Donates zu beobachten, wenn dieser mit
seiner Eifersucht kämpfte.
Wenn der Vengador sich das doch nur endlich selbst eingestehen würde!
Stattdessen geleitete er Nuriya wortlos zum gemeinsamen Eingang von VIP-
Bereich und Órlas Büros. Der Türsteher trat ihnen in den Weg. «Sterbliche ha-
ben hier nichts zu suchen!»
Dabei beging er den Fehler, Kieran direkt anzusehen. Du willst m i r den Zugang verwehren?
«Aber ...», stotterte der Mann und begann leicht zu zittern. Einige Bilder von
Vampiren, die es vor ihm gewagt hatten, dem Vengador zu widersprechen, in
seinem Kopf reichten aus, um ihn rasch beiseite treten zu lassen. Auf einmal
fand er die Aussicht auf einen ausgedehnten Urlaub sehr verlockend.
«Herein!» Der Sicherheitschef erschien und bedeutete den Besuchern, ein-
zutreten. Dann nahm er wortlos seine Position neben der Tür ein.
Órla hatte die Winterfeld-Vampire und ihre sterbliche Begleitung bereits
eine ganze Weile durch ihre Spiegelfenster im Blick gehabt. Erstaunt hatte sie
beobachtet, wie Kieran, den sie für einen der undurchsichtigsten Vengadoren
hielt, sich zu der kleinen Gruppe gesellte. Eine merkwürdige Allianz!
Nun war sie neugierig, was der junge Nik und Kieran ihr bringen wollten,
und betrachtete die drei aufmerksam aus ihren ungleichen Augen. Sie for-
derte ihre Gäste mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. Keiner von
ihnen hatte eine spürbare vampirische Aura und Órla dachte ärgerlich, dass
dies Kierans Werk sein musste. Das Mädchen kam ihr bekannt vor, aber ihr
Gesicht blieb eigentümlich undeutlich. Misstrauisch blickte sie zu Kieran.
Natürlich wirkte der Vengador ganz entspannt, geradezu harmlos. Deshalb,
aber auch wegen ihrer beiden anderen Besucher entschloss sie sich zu vor-
sichtiger Höflichkeit.
«Willkommen im Hellfire! Was kann ich für euch tun?» Dabei schaute sie
erwartungsvoll zu Kieran und war erstaunt, als an seiner Stelle Nik charmant
entgegnete: «Vielen Dank für deine Gastfreundschaft! Wie du zweifellos
weißt, wohne ich mit zwei Mitgliedern meiner Familie», er machte eine vage
Handbewegung in Richtung der hinter Jalousien verborgenen Spiegelfenster,
«seit ein paar Tagen in unserer hiesigen Residenz!»
Órla legte die Fingerspitzen aneinander und schaute ihn erwartungsvoll an.
Jeder Vampir aus einer weniger mächtigen Familie hätte mit empfindlichen
Strafen rechnen müssen, wenn er es gewagt hätte, mehr als eine Woche bis
zum Besuch bei ihr verstreichen zu lassen.
Lässig schlug Nik die Beine übereinander und schwieg einen Moment, be-
vor er schließlich auf Nuriya wies, die Órla mit weit aufgerissenen Augen
anblickte. Dann fuhr er fort: «Wir haben einen Hausgast. Nuriya steht unter
Sylvains besonderem Schutz.»
Damit war klar, dass Órla keine Fragen über Nuriyas Herkunft und Absich-
ten stellen konnte. Wer unter dem Schutz des Oberhauptes der Winterfeld-
Familie stand, war über jeden Zweifel erhaben.
«Ihre sterbliche Familie lebt übrigens ebenfalls hier», fügte Nik beiläufig
hinzu. Der Schutz war auf die Familie ausgeweitet. Nik ging jedoch nicht so
weit, auch noch Erik in seine Aufzählung mit einzubeziehen. Der Werwolf
konnte selbst für seine Sicherheit sorgen.
«Sehr schön!» Órla erhob sich und die Besucher waren entlassen. «Kieran?
Auf ein Wort!»
Der Vengador konnte sein Lachen nur mühsam unterdrücken, seine Miene
spiegelte jedoch nichts als höfliches Interesse wider. Es wäre ein Fehler, sich
Órla zur Feindin zu
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