Der verborgene Stern
Sie machen mir überhaupt keine Angst. Auch nicht der blaue Diamant. Er ist so wundervoll. Ein Wunder der Natur. Einfach unglaublich, es braucht nur die richtigen Mineralien, den richtigen Druck und genügend Zeit, um so etwas Herrliches entstehen zu lassen. Sie streiten. Über den Stein“, fuhr sie angestrengt fort. „Ich kann sie hören, und ich bin sauer und fühle mich im Recht. Ich laufe auf diesen Raum zu, in dem sie streiten, ich bin wütend und irgendwie zufrieden. Eine merkwürdige Mischung. Und ich habe auch ein bisschen Angst. Ich habe etwas getan … ich weiß nicht.“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Irgendetwas Übereiltes, vielleicht sogar etwas Dummes. Ich gehe zur Tür. Sie ist offen, die Stimmen dringen in den Gang hinaus. Ich gehe also zur Tür, ich zittere innerlich. Nicht nur aus Angst, glaube ich. Auch aus Wut. Ich schließe die Hand um den Stein. Der Stein steckt in meiner Tasche, und es fühlt sich besser an, wenn ich ihn festhalte. Die große Tasche steht dort auf dem Tisch neben der Tür. Sie ist auch geöffnet, ich kann das Geld darin sehen. Ich nehme sie hoch, während die beiden sich anschreien.“ Ihre Augen begannen zu tränen. „Sie wissen nicht, dass ich da bin. Sie sind so miteinander beschäftigt, dass sie mich gar nicht bemerken. Dann sehe ich das Messer, die Klinge blitzt auf. Der andere reißt die Hand hoch, um es zu fassen zu bekommen. Sie beginnen, um das Messer zu kämpfen, sie stolpern aus dem Lichtstrahl. Aber ich sehe Blut, und einer der beiden Schatten taumelt. Der andere sticht zu. Er hört nicht auf. Er hört einfach nicht auf! Ich stehe wie angewurzelt da, umklammere die Tasche, sehe zu. Die Lichter gehen aus, alle gleichzeitig, es ist vollkommen dunkel. Dann ein Blitz. Plötzlich ist es ganz hell. Als er dem anderen den Hals aufschlitzt, sieht er mich. Er sieht mich, und ich renne los.“
„Okay, entspann dich jetzt.“ Der Verkehr war mörderisch, und er konnte ihre Hand nicht halten oder sie in den Arm nehmen. „Versuch es nicht zu sehr, Bailey. Wir können zu Hause weitermachen.“
„Cade, sie sind dieselbe Person“, murmelte sie, und dann stieß sie eine Mischung aus Seufzen und Lachen aus. „Sie sind dieselbe Person!“
Er fluchte wegen der verstopften Straßen, schoss nach links in eine Lücke und überholte einen Kombi. „Wie meinst du das?“
„Sie sind dieselbe Person. Aber das kann nicht sein. Ich weiß, dass es so ist, weil einer tot ist und einer nicht. Ich glaube, ich werde verrückt.“
Waren das wieder nur Symbole? „Wieso sind sie dieselbe Person?“
„Sie haben dasselbe Gesicht.“
Sie drückte den Stoffelefanten an sich wie einen Rettungsanker. Sie war verwirrt, in Träumen gefangen, der Kopfschmerz lauerte hinter ihren Augen.
„Ich möchte, dass du dich jetzt hinlegst. Ich mache dir einen Tee.“
„Nein, den mache ich. Es wird mir helfen, etwas zu tun. Irgendetwas. Tut mir leid, es war so ein schöner Abend.“ In der Küche setzte sie den lächelnden Elefanten auf den Tisch. „Am Anfang.“
„Der Abend war wirklich wunderschön. Und was immer auch deinem Gedächtnis auf die Sprünge hilft, es ist gut.“ Er nahm sie bei den Schultern. „Und mir tut es leid, weil du diejenige bist, die so leidet. Aber das musst du durchstehen, wenn wir die ganze Wahrheit herausfinden wollen.“
„Ich weiß.“ Sie legte eine Hand auf seine und drückte sie kurz, dann stellte sie den Kessel auf den Herd. „Es wird mich nicht komplett umhauen, Cade, aber so richtig stabil bin ich noch nicht.“ Lachend presste sie die Zeigefinger auf ihre Augenlider. „Hört sich komisch an von einer Frau, die sich nicht einmal an ihren eigenen Namen erinnern kann.“
„Du erinnerst dich Tag für Tag mehr, Bailey. Und du bist die stabilste Frau, die ich je getroffen habe.“
„Dann muss ich mir Sorgen um dich und deinen Frauengeschmack machen.“
Präzise platzierte sie zwei Tassen auf zwei Untertassen, nahm Teebeutel, Löffel und Zucker aus dem Schrank. Draußen sang eine Nachtschwalbe im Ahornbaum, ihr Lied klang wie flüssiges Silber. Bailey dachte an üppig überwucherte Gartenzäune, an den betörenden Duft von Rosen und den Ruf des Nachtvogels. Sie dachte an ein junges Mädchen, das unter einem Weidenbaum weinte.
Seufzend schüttelte sie den Kopf. Vielleicht handelte es sich nur um eine bittersüße Kindheitserinnerung. Wahrscheinlich würden diese Bilder aus der Vergangenheit nun immer häufiger auftauchen. Auch wenn sie Angst davor
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