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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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Entenmarsch hinter ihr her. Wortlos folgten sie ihr aus der Hölle.
    Und weit, weit entfernt in den Bergen von Kaschmir entdeckten die Retter, die beinahe schon aufgegeben hätten, einen Hohlraum unter der Erde und zogen zweiundzwanzig Kinder lebend aus dem Schutt.
    Ein Wunder war geschehen.

– ZWEI –
Der Fluch
    B ei den britischen Festen in Jaipur kursierte der neueste Klatsch und Tratsch auf Atemwolken aus Whisky-Dunst. Die alte Hexe gehörte zu den beliebtesten Themen, und generell war man sich einig, dass sie sich schon viel zu lange in Indien aufhielt. Das Land hatte sich »ihrer bemächtigt«. Sie beherrschte die Sprache der Einheimischen, und nicht nur Hindustani, sondern auch Rajasthani und ein paar Brocken Gudscharati, und einmal hatte man sogar auf dem Markt gehört, wie sie auf Persisch handelte! Den Briten erschien solche Vertrautheit mit dem Land schäbig, so als hätte sie Indien in den Mund genommen und den Geschmack ausprobiert wie den Finger eines Geliebten. Einfach unanständig!
    Und als ob das noch nicht schlimm genug wäre, aß sie mit den Eingeborenen Mangos auf dem Basar, wobei ihr der Saft vom Kinn tropfte. Und es hieß, sie nehme einen Kräutertrunk zu sich, der täglich von einem hässlichen kleinen Mann mit einer Brandnarbe über das halbe Gesicht gebraut wurde. Sie berührte Bettler und war sogar schon dabei gesehen worden, wie sie in Lumpen gewickelte Kleinkinder auf dem Arm nach Hause trug. Gerüchten zufolge war ihr hübscher Diener eines dieser Babys gewesen, was wiederum bestätigte, dass sie sich schon ewig in diesem Land aufhalten musste. Eine Ewigkeit, in der die von ihr geretteten Bettelkinder zu Männern herangewachsen waren.
    Er wich ihr nie von der Seite und wirkte so vornehm wie ein Radscha und so todernst wie ein Meuchelmörder. Seine Augen funkelten gefährlich und die Beulen in seinen Maßanzügen deuteten auf verborgene Messer hin. Wenn das stimmte, was man in der Stadt erzählte, konnte er mit Tigern sprechen, hatte einen gespaltenen Schwanz, den er in ein Hosenbein steckte (das linke), und war ohne seinen Schatten auf der Straße gesehen worden. Für die alte Hexe, so hieß es, würde er alles tun. In dieser Hinsicht enthielt das schamlose Geschwätz sogar einen Funken Wahrheit. Denn tatsächlich würde er alles für sie tun, ja, hatte es bereits schon viele, viele Male getan.
    Sein Name lautete Pranjivan, was »Leben« bedeutete, und Estella hatte ihm beides geschenkt: den Namen und das Leben. Sie hatte ihn auf den eigenen Armen aus dem Höllenfeuer getragen, weil er noch zu klein gewesen war, um auf eigenen Beinen zu gehen. Er war der Einzige, der ihre Geheimnisse kannte, und neben der Arbeit in ihrem Haus spionierte er für sie. Er schickte seinen Schatten ins Land hinaus, das hatte sie ihm schon als Junge beigebracht, und er führte detaillierte Listen über die ruchlosesten Menschen. Er half Estella bei der Entscheidung, wer sterben sollte, damit Kinder leben durften. Und jeden Tag, wenn sie durch eine Falltür im Schatten eines riesigen Pipalbaumes aus der Hölle stieg, wartete er mit den Rikscha-Männern, um sie nach Hause zu bringen.
    Am Tag des Erdbebens wusste er sofort, dass etwas nicht stimmte, als sie blinzelnd ins Tageslicht hinaufkam. »Was ist passiert, Memsahib?«, fragte er.
    »Bring mich zur Residenz des politischen Vertreters«, sagte sie still, und er gehorchte.
    Jaipur gehörte zu den Rajputen-Fürstentümern, die nicht Teil des Britischen Königreichs waren. Aus diesem Grund gab es keine offiziösen Gouverneure oder Beamten, sondern nur den politischen Vertreter, einen schnauzbärtigen ehemaligen Reiteroffizier, dessen militärische Laufbahn zu einem jähen Ende gekommen war, als er einen Arm an eine Tigerin im Himalaja verloren hatte. Jetzt musste er die Zügel mit den Zähnen halten, wenn er mit den eingeborenen Fürsten auf Schakaljagd ging, was zu seinen vornehmlichsten Pflich ten zählte. Und für diese Dienste wurde er mit einem palast artigen Haus und einer kleinen Armee von Dienern entlohnt. Er hatte sogar extra einen Diener, der nur dazu da war, um ihm die Huka, die indische Wasserpfeife, anzuzünden.
    Als Estella uneingeladen an seinem Tor erschien, war das Fest bereits in vollem Gange. Die dritte Tochter des Vertreters war getauft worden, aber die Feier unterschied sich nicht von anderen – bunte Kleider wallten durch den Garten, und an den Gläsern der feinen Gentlemen bildeten sich in der Hitze Wassertropfen. Ein Tisch war mit

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