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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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über den Dämon und das Mädchen. Es ist eine Liebesgeschichte mit Tanz und Tod, mit Gesang, Seelen und Schatten, die sich an Drachenleinen frei von ihrem Körper bewegen können. Sie beginnt unterhalb Indiens, zu einer Zeit, als die Briten noch mit den Maharadschas auf Elefanten ritten und an den kargen Grenzen ihres Königreichs Kriege führten.
    Die Geschichte beginnt in der Hölle.

– EINS –
Der Dämon und die alte Hexe
    D ie Engländerin, die in der Gegend um Jaipur nur als »die alte Hexe« bekannt war, saß unten in der Hölle und trank Tee mit einem Dämon. Sie hatte silbergraues Haar, dünne Lippen und trug den Kopf stolz erhoben. Mit ihrem kalten Blick konnte sie jedes Lachen in ihrer Umgebung gefrieren lassen. Man brachte ihr nicht unbedingt Sympathie entgegen, aber es hätte ihre Landsleute oben auf der Erde regelrecht geschockt, sie an einem Ort wie diesem zu sehen.
    »Komm schon zur Sache«, verlangte sie ungeduldig von dem Dämon.
    Dass ihr Gesprächspartner ganz leicht an einen Menschen erinnerte, lag daran, dass er einst dieser Spezies angehört hatte. Er war klein und uralt, sein rundes Mondgesicht war verschrumpelt wie vertrocknete Apfelschale und zur einen Hälfte gerötet wie ein dunkler Weinfleck.
    »Denk dran, meine Liebe«, antwortete er und lächelte freundlich, »einige überleben vielleicht auf ganz natürliche Weise. Erdbeben stecken voller Überraschungen. Kinder, die noch leben, wie ein vergrabener Schatz? Was wünscht man sich da mehr, als mit ansehen zu dürfen, wie sie ans Tageslicht geholt werden?«
    »Gewiss«, sagte sie.
    In Kaschmir hatte die Erde gebebt. Die alte Hexe hatte ihren Schatten hingeschickt, um sich dort umzuschauen, und er war durch die Ruinen von Dörfern geschlichen und hatte ihr durch seine gleichgültigen Sinne die Zerstörungen übermittelt. Schatten hatten keine Ohren, deshalb konnte er die Klagen der Überlebenden nicht hören, und das war ihr auch nur recht so. »Du gibst mir die Kinder, Vasudev. Darüber lasse ich nicht mit mir reden, wie du weißt.«
    »Estella, willst du mich um das Vergnügen bringen, mit dir zu feilschen? Wofür lohnt es sich zu leben , wenn nicht dafür?«
    »Du lebst seit tausend Jahren nicht mehr. Denn sonst würde es dir keinen Spaß bereiten, mit den Seelen von Kindern zu handeln.«
    »Meinst du? Ich kann mich kaum noch daran erinnern, wie es war, lebendig zu sein. Da gab es gewisse … Gelüste . Der Anblick des Bauchnabels einer Frau konnte mir den Verstand rauben. Kinder dagegen? Ich kann mich nicht entsinnen, mir je etwas aus ihnen gemacht zu haben.« Er schenkte Tee in die angeschlagenen Tassen nach und fügte seiner Zucker und Sahne hinzu.
    Estella nahm ihre Tasse, nippte an dem schwarzen Getränk und erwiderte verbittert: »Das glaube ich dir gern.« Schließlich lag es an Vasudevs speziellem Umgang mit Kindern, dass sie überhaupt hier war und jeden Tag als einziger lebender Mensch auf Erden in die Hölle hinabstieg.
    Die Dämonen brauten einen geheimen Trunk, damit ihr uraltes Fleisch nicht zu Schaden kam, wenn sie im Höllenfeuer wandelten. Über fünfzig Kräuter und Rindenextrakte gehörten hinein und wurden mit dem Wasser heiliger Flüsse vermischt. Einmal, vor vielen, vielen Jahren, hatte Vasudev seine tägliche Dosis vergessen und sich in den Flammen verbrannt. Seitdem leuchtete sein halbes Gesicht in diesem kräftigen Scharlachrot, und wann immer er in der Welt der Lebenden erschien, gafften ihn die Kinder an. Und obwohl er schon früher nie sonderlich erpicht darauf gewesen war, ihre Seelen zu verschonen, fand er mittlerweile ein teuflisches Vergnügen daran, besonders die jüngsten bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu ernten. Er bevorzugte ein Kind selbst dann, wenn sich in der Nähe viel passendere Kandidaten befanden – ein siechender Großvater zum Beispiel, der auf ein erfülltes langes Leben zurückschauen konnte.
    Yama, der Fürst der Unterwelt, hatte für ein gewisses Gleichgewicht in dieser Hinsicht gesorgt, und zwar indem er Estella ausgewählt hatte, zugunsten der Kinder einzutreten. Seit über vierzig Jahren diente sie Yama mittlerweile schon.
    Gelassen nippte sie erneut an ihrem Tee. »Zehn.«
    »Zehn?« Vasudev lachte. »Wie rührselig. Was würden die Menschen sagen? Sie würden es zum Wunder erklären.«
    »Ein Wunder hat noch niemandem geschadet.«
    Er dachte darüber nach. »Zehn Kinder, die aus dem Schutt krabbeln, bedeckt vom weißen Staub ihres zerstörten Dorfes. Diese großen dunklen

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