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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laini Taylor
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für Schritt, und er stieg aus dem Sumpf aus Schlamm und Geistern auf, in dem er seit Frankreich gesteckt hatte.

– SECHS –
Die erste Berührung
    Z um zweiten Mal sahen sie sich bei einem Musikabend, den Anamiques Mutter veranstaltete. Für gewöhnlich lud sie dazu auch die unverheirateten jungen Männer ein, damit sie ein Stück leichter Oper genießen und ihre Töchter unterhalten konnten, und James sah gut aus, war zudem ein Kriegsheld und hatte, wie sich herausstellte, zu allem Überfluss eine wunderbare Tenorstimme. Es gab eigentlich nur einen einzigen Grund, weshalb er nicht zum neuen Schwarm aller Frauen wurde: beim Singen starrte er einzig und allein Anamique an.
    Die anderen erinnerten sich an dieses Starren im Garten, und sie erkannten nun an den Blicken zwischen den beiden, dass da etwas im Gange war. An zwei Enden begann man, eine Brücke zu bauen, die sich auf den Platz in der Mitte zureckte, wo sie füreinander und miteinander die Erfüllung finden konnten.
    James schmeichelte gegen Ende des Abends der alten Frau eines Missionars so lange, bis sie sich ans Klavier setzte, damit er eine Chance bekäme, mit Anamique zu tanzen. Zum ersten Mal berührten sie sich, zunächst zart und schicklich, Fingerspitzen auf der Taille und Hände an der Schulter in der ordentlichen Tanzhaltung. Aber schließlich strichen James’ Lippen sanft über Anamiques Ohrläppchen, als er ihr etwas zuflüsterte. Sie errötete fürchterlich bei der intimen Berührung, und ihre Augen nahmen einen Ausdruck von Sehnsucht und Hoffnung an.
    »Ich liebe dich«, hatte er geflüstert, und es erschien ihm, als habe sie die Lippen aufeinandergepresst, weil sie sich vorstellte, das Gleiche zurückzuflüstern.
    Sie stellte es sich tatsächlich vor. Sie glaubte, die Worte schmecken zu können, wie Ingwer und Chili und Zucker, feurig und süß, und sie behielt sie auf der Zunge wie ein Bonbon. Es würde mehr Zeit brauchen, um sie aus ihr hervorzulocken, doch in diesem Augenblick wurde etwas in Gang gesetzt. Eine Idee fiel wie ein Same auf fruchtbaren Boden, und im Laufe der nächsten Wochen wuchs und wuchs er wie eine Feigenranke, üppig und zur Eroberung bereit, umgarnte ihre alten Glaubenssätze und bedeckte diese mit einem neuen Gewächs, bis sie darunter verschwanden wie ein Tiger im Dickicht – und auch ebenso tödlich.
    Es folgten weitere Musikabende und zahlreiche Briefe, verstohlenes Händchenhalten beim Abendessen, Duette am Klavier, mehrere Tänze und weitere ins Ohr geflüsterte Worte, die Gänsehaut an Anamiques Hals auslösten und es ihr kalt den Rücken hinunterlaufen ließen. Nie waren sie allein, aber was spielte das für eine Rolle, denn sie hatten nur Augen füreinander. Sie saßen fernab der anderen Gäste, gleichgültig, bei welchem Fest oder Anlass, und James sprach zu ihr, während Anamique kleine Bemerkungen auf ihren Block schrieb, die James bei den Briefen von ihr aufbewahrte. Sie brachte ihm sogar ein paar einfache Zeichen ihrer Gebärdensprache bei, zum Beispiel die für »durstig« und »tanzen«. Er fragte sie mit leuchtenden Augen, wie er mit Gebärden »Ich liebe dich« ausdrücken könnte, nur damit er es erkennen würde, falls sie diese Gesten jemals für ihn benutzen würde, und sie errötete und zeigte es ihm.
    Anamique strahlte nur noch. Andere Männer fragten sich, warum erst dieser verfluchte James Dorsey hatte auftauchen müssen, damit sie erkannten, dass Anamique, stumm oder nicht, das lieblichste Wesen von Jaipur war, wenn nicht von ganz Indien. Trotzdem machte ihr niemand den Hof. Es gelang ihnen nicht einmal, Anamiques Blick auf sich zu lenken, und sie tanzte mit keinem anderen als James.
    Und während sie tanzten, flüsterte James auf sie ein. Er bedrängte sie, für ihn zu singen, ihm zu sagen, dass sie ihn liebte. »Wie kann ich es jemals glauben«, fragte er und flehte sie mit den braunen Augen an, »solange du es mir nicht selbst gesagt hast?« Er wusste über den Vogel im Käfig Bescheid, und er stellte sich vor, wie dieser Vogel dort traurig verharrte, als sei er auf einer Tierschau in der Provinz gefangen. »Vögel sollte man nicht im Käfig halten«, erklärte er ihr, und sie spürte die Wärme seiner Lippen am Ohr. »Sie sollten fliegen.«
    Nach und nach reifte in Anamique ein Entschluss: Falls James sie fragte, ob sie ihn heiraten wollte, würde sie ihm antworten. Jetzt wusste sie, welches Wort sie als Erstes laut aussprechen würde: ja .

– SIEBEN –
Der hämische Dämon
    V asudev,

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