Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
Das Schloss bestand aus einer Ansammlung bronzener Würfel, etwa doppelt so groß wie jene, die man zum Spielen benutzte. Sie lagen so gut wie nahtlos aneinander. Alle Kuben zusammen bildeten kein Quadrat, sondern ein Vieleck, weil die Würfelreihen und -kolonnen an den Rändern unterschiedlich weit herausragten. Erfolglos zog und schob ich hier und da ein wenig. Ich meinte zu spüren, dass sie sich grundsätzlich bewegen ließen, doch wo anfangen?
    »Falls die Pandine Hilfe holt, bekommen wir bald Besuch«, mahnte Thaurin zur Eile. »Am besten, ich versuche den Gesäßtrick …«
    »Das kannst du bei dieser Tür vergessen«, sagte Arki. Er saß wieder auf seinem Reitwolf. »Wie wär’s, wenn ihr mich fragt?«
    Alle Blicke richteten sich auf den Goldbären.
    Er kostete die ungeteilte Aufmerksamkeit sichtlich aus. Nach genussvollem Zögern fügte er hinzu: »Ich war hier schließlich der Narr. Wer hebt mich mal hoch?«
    Ich bot ihm meine Hände als Hebevorrichtung an und beförderte ihn so vor das Schloss.
    Ohne ein einziges Mal innezuhalten, tippte Arki auf verschiedene Kolonnen und Reihen von Kuben. Dazu gab er Verschiebeanweisungen wie »Zwei nach oben!« oder »Drei nach links!«. Sein Assistent – das war Taqi – führte die Instruktionen aus, und siehe da! Egal ob er einen Würfel, zwei oder fünf versetzen musste, sie glitten leicht in ihre neuen Stellungen.
    »Sag mal, Arki«, erkundigte ich mich zwischendurch. »Das habe ich dich schon die ganze Zeit fragen wollen: Wie sieht Oros eigentlich aus?«
    »Zweite Reihe um vier Positionen nach rechts«, sagte der Goldbär, ehe er mich ansah. »Er trägt einen langen Umhang, der jedes Licht verschluckt. Darunter ist er wohl aus Fleisch und Blut so wie ihr.«
    Ich deutete überraschtauf die drei Meister. »Du meinst, wie wir Menschen? «
    »Ja, abgesehen von der Maske natürlich.«
    »Eine Maske?« Unweigerlich musste ich an den Mythos von Ys denken, an den Stundenwächter und schauderte. »Ist sie zufällig schwarz?«
    »Wer hat dir das verraten?«
    »Ich wäre dann so weit«, brachte sich Taqi in Erinnerung.
    Der Bär inspizierte kurz die Stellung der Würfel und befahl: »Aufmachen!«
    Sein Assistent zog links und rechts an je einer vorstehenden Würfelreihe und öffnete die Tür.
    Diesmal lag dahinter ein lichterfüllter Raum.
    »Bemerkenswert«, murmelte Poseidonios.
    Taqi schritt durch die Tür.
    »Und ich sage, sie ist doch verhext«, nörgelte Giovanni, bekreuzigte sich noch einmal und betrat ebenfalls die Asservatenkammer.
    Ich setzte Arki auf den Wolf und folgte mit den anderen den zwei Uhrmachern.
    »Kriegen wir die Kammer später wieder auf, wenn wir sie von innen verschließen?«, erkundigte sich Thaurin bei dem vielseitig talentierten Bären.
    »Ich schon«, antwortete der Kleine selbstbewusst. Sein Ego war in der vergangenen Stunde gewaltig gewachsen.
    »Dann verriegeln wir sie besser. Dadurch sind wir sicher vor zufälligen Entdeckungen, und wir gewinnen Zeit, falls die Pandine Alarm geschlagen hat.«
    Während Taqi das Verschließen der Tür übernahm, machten sich die anderen an die Erkundung des Raumes.
    Er war kreisrund, etwa dreißig Fuß hoch und maß weit über hundert Fuß im Durchmesser – dem Augenschein nach füllte er die zentrale Gebäudeachse vollständig aus. Das in Gelb- und Orangetönen wabernde Licht kam von Decke und Wänden, oben so unregelmäßig, als würde es von langsam ziehenden Wolken beschattet, und an den Seiten eher schlierig, als quölle es am äußeren Deckenrand hervor und liefe wie leuchtendes Öl an den hell verputzten Wänden herab. Die allgegenwärtige Künstlichkeit von Mekanis, die ich immer als kalt empfunden hatte, fehlte hier. Alles in der Rundhalle wirkte warm und licht. Ob es daran lag, dass der König die Dinge hierher verbannt hatte, die er hasste?
    Der etwas trockene Name »Asservatenkammer« täuschte nämlich darüber hinweg, was Oros tatsächlich an diesem Ort aufgehäuft hatte. Schatzkammer, dachte ich, trifft es viel besser. Neben steinernen Stelen, tönernen Tafeln und hölzernen Pfählen, alle mit fremdartigen Symbolen beschriftet, war der Raum vollgestopft mit jedweder Art von obskuren tickenden und klickernden Räderwerken. Auch goldene, silberne und mit Juwelen verzierte Preziosen häuften sich darin. Und Spiegel.
    »Warum eigentlich Spiegel?«, fragte ich laut.
    »Es heißt, Oros könne seinen eigenen Glanz nicht ertragen«, antwortete Arki.
    So wie der Herrscher der Zeit im Mythos von Ys

Weitere Kostenlose Bücher