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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Hand versagte mir den Dienst, als ich nach dem Dolch greifen wollte. Beim letzten Aufziehen der Uhr hatte ich bei Weitem nicht solche Auswirkungen verspürt. Oros musste mich mit einem Bann belegt haben.
    Die Rechte des Königs hielt die Linke von Taqi wie ein Schraubstock fest, damit der ihm nicht entwischte. Gleichzeitig fauchte er Giovanni an: »Sofern du weiterleben willst, lass deinen Gefährten ja nicht los! Greif mit der freien Hand nach dem Uhrenschlüssel und dreh ihn herum. Nur ein kleines Stück, hörst du!«
    Ein augenloses Automantenhaupt kollerte über den Boden, streifte die Säule mit der Schale und schoss in eine andere Richtung davon. Das Uhr-Ei erzitterte, kam jedoch schnell wieder zur Ruhe.
    Der Spanier schüttelte panisch den Kopf. »Das werde ich nicht tun, du Ausgeburt der Hölle. Der Heilige Vater sagt …«
    »Ich bin hier der Heilige Vater«, unterbrach ihn Oros kalt. »Und nun greif – nach – dem – Schlüssel! «
    »Nein. Ich …« Giovannis Kehle entstieg ein ersticktes Gurgeln. Hektisch langte er sich an die linke Brust.
    Auch Taqi ächzte vor Schmerzen.
    »Wenn ich will, kann ich euer Herz auf der Stelle stehen bleiben lassen«, drohte Oros mit eiskalter Ruhe. Im Kampflärm war seine kratzende Stimme kaum zu verstehen. Bis sie regelrecht explodierte. »Zieh endlich die Uhr auf!« , brüllte er.
    Ein Speer zischte durch die Gruppe hindurch und blieb schnarrend in einer großen Spieluhr stecken.
    Der Spanier schleppte sich mit verzerrtem Gesicht an mir vorbei. Ich konnte die Katastrophe förmlich riechen. Der Schlüssel war und blieb für mich ein Werkzeug des Unheils, etwas Verfluchtes und Verbotenes. Falls Giovanni ihn drehte, würde es mit uns allen böse enden. Nicht von ungefähr hatten die drei Uhrmacher mich, ihren Famulus, überredet, den kosmischen Mechanismus in Gang zu setzen. Ebenso wie Poseidonios kannten sie die Warnung auf der Vorderseite des goldenen Diskus. War der Herrscher der Zeit tatsächlich so verzweifelt, dass er sie in den Wind schlug? Oder scherte er sich einfach nicht um die Mahnungen der Erleuchteten?
    Giovanni streckte die Rechte aus und umfasste den verbotenen Schlüssel.
    Der lähmende Schmerz kroch durch meine Lenden zum Herzen hinauf. Ich musste den Untergang aller verhindern und wenn es mein eigener sein würde. War ich noch Herr meiner Stimme? Trotzig stemmte ich meinen Willen gegen den Bann an und keuchte: »Ihr seid gar nicht mein Meister. Ihr seid Oros.«
    Der Spanier zögerte.
    »Sagen wir, ich bin beides«, erwiderte Oros belustigt. »Ich habe mir vorübergehend den hinfälligen Körper deines Freundes ausgeliehen und ihn etwas aufpoliert. Die Vorstellung, Macht über die Zeit auszuüben, hat ihn zu Wachs in meinen Händen gemacht. Er ließ sich willig von mir formen, um ein mechanisches Abbild des Kosmos im Kleinen zu erschaffen.«
    »Und durch den Diskus von Ys habt Ihr ihm das uralte Wissen zugespielt, das er dazu brauchte, Euch aus der Verbannung zu befreien.«
    »Du bist klug, Morvi. Ich hatte nie einen vielversprechenderen Schüler als dich.«
    Den Geräuschen nachverlagerte sich der Kampf vor die Kammer. Ich schöpfte Hoffnung für meine Freunde. Konnten sie den Häschern des Königs entkommen? Ich nickte bitter. Vielleicht würde es meine letzte Bewegung sein. »Warum soll Meister Giovanni für Euch den Schlüssel drehen?«
    »Meine erste Wahl bist immer du gewesen, kleine Ameise. Mir ist allerdings klar, dass ich dich keinesfalls zwingen kann. Kinder mag man belügen, aber nicht betrügen.«
    »Ihr seid wie alle großen Eroberer, nicht wahr? Habt Ihr vor, Euer Reich Mekanis bis über die Grenzen der Menschenwelt hinaus auszudehnen?«
    Seine ganze Antwort war ein spöttisches Grinsen.
    Ich konnte den Kopf nicht mehr drehen, nur meine Augen wandten sich dem Spanier zu. »Lasst die Uhr los, Meister Torriano!«
    »Dann töte ich deine beiden Freunde!«, fauchte Oros.
    Die Drohung traf mich wie ein Fausthieb ins Gesicht. Ich wollte die Uhrmacher retten und sie nicht umbringen.
    Die Lippen des Königs kräuselten sich. »Jetzt steckst du in einem Dilemma, nicht wahr? Deshalb liebe ich mein Mekanis so. Niemand befiehlt mir, was ich tun oder lassen soll. Rücksicht auf Gefühle kann ich mir sparen – so etwas existiert hier überhaupt nicht.«
    »Gefühle sind vielleicht nicht alles«, sagte ich, »aber ohne Gefühle ist alles nichts. Darum werdet Ihr am Ende untergehen.«
    Oros lachte heiser. »Wie denn? Abgesehen von Uhren hat nie eine

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