Der Verehrer
Er klingelte noch einmal und wartete wieder. Während er nach dem dritten Klingeln wiederum wartete, obwohl ihm schon klar war, daß sich Jablonski offenbar gerade nicht in seiner Wohnung aufhielt, kam eine Putzfrau aus dem Haus. Sie schleppte einen Müllsack und zwei randvolle Papierkörbe und warf Früngli einen anklagenden Blick zu, als sei er verantwortlich, daß sie an diesem strahlenden Tag arbeiten mußte. Er lächelte unsicher und schob sich rasch durch die nur langsam zufallende Glastür ins Haus hinein.
Nun war er drin, aber das brachte ihn im Grunde nicht weiter. Jablonski war nicht daheim. Trotzdem konnte er es ja noch einmal direkt an der Wohnungstür versuchen. Der Anordnung der Klingeln zufolge mußte der Gesuchte im dritten Stock wohnen. Früngli stieg die Treppen hinauf.
Auch das mehrmalige Klingeln oben an der braungestrichenen Wohnungstür brachte nichts. Früngli wandte sich zum Gehen. Eine Treppe weiter unten kam er an einer Wohnung vorbei, deren Tür weit offenstand. Gleich dahinter versperrte ein querstehender Staubsauger den Weg, und es roch durchdringend nach Putzmitteln. Ob von hier die Putzfrau gekommen war, die er unten getroffen hatte? Eine andere Frau mit einem geblümten Tuch um den Kopf und einer grünen Kehrschaufel in der Hand tauchte plötzlich auf und fixierte Früngli aus kleinen Augen.
»Aha, die Polizei«, sagte sie. »Kommen Sie wegen Millie? «
»Wegen Millie?« fragte Früngli irritiert.
Die Frau kletterte über den Staubsauger und trat näher an ihn heran.
»Millie Faber. Die Frau, die unter mir wohnt.«
»Ich bin wegen Robert Jablonski hier«, sagte Früngli. »Haben Sie eine Ahnung, wo er sich aufhält?«
»Das ist eine gute Frage. Nein, keine Ahnung. Den hab’ ich schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Komischer Kauz. Ich vermute, der ist nicht ganz richtig hier oben.« Sie tippte sich an die Stirn.
»Erinnern Sie sich, wann Sie ihn zuletzt gesehen haben? « fragte Früngli und zückte seinen Notizblock.
Die Frau überlegte. »Irgendwann im März, glaube ich. Da war er eine Woche lang hier. Hatte eine Maus dabei.«
»Eine Maus?«
»Eine Frau, meine ich. Eine Geliebte, nehme ich an.«
»Und dann haben Sie ihn nicht mehr gesehen?«
»Eines Morgens sind beide abgereist. Das muß so etwa Mitte des Monats gewesen sein. Ich hab’s vom Balkon aus gesehen.«
»Sind Sie sicher, daß die beiden abgereist sind? Sie können ja auch zu einem Ausflug aufgebrochen sein.«
Der Putzteufel musterte ihn verächtlich. »Dann hätten sie kaum eine solche Menge Koffer mitgeschleppt, nicht wahr? Die sind abgereist, darauf können Sie sich verlassen. «
»Weshalb nannten Sie Jablonski einen komischen Kauz?« wollte Früngli wissen.
»Der war eben komisch. Hatte mit niemandem hier im Haus richtig Kontakt. Ging immer seiner eigenen Wege. Manchmal hat er nicht mal gegrüßt. Und seit ich ihn kenne, war die Frau im März seine fünfte Freundin. Keine hat’s allzulange mit ihm ausgehalten.«
In Frünglis Augen stempelte dies alles einen Menschen
noch nicht unbedingt zum Sonderling ab, aber er mochte mit dem Putzteufel jetzt nicht darüber diskutieren. Frauen dieser Art, das wußte er aus Erfahrung, war er nicht gewachsen.
»Schön. Danke«, sagte er und steckte sein Notizbuch wieder weg. Gefällig setzte er hinzu: »Und was war nun mit dieser … wie hieß sie? Millie …?«
»Millie Faber. Sie wohnt im ersten Stock. Sie habe ich auch seit Wochen nicht gesehen.«
»Vielleicht ist sie verreist.«
Die Frau setzte wieder eine verächtliche Miene auf, die Früngli nicht verstand. Wieso meinte sie immer, ihn verachten zu müssen, nur weil er nicht über alle Details dieses Hauses, das für sie offenbar den Erdmittelpunkt darstellte, unterrichtet war?
Dumme Zicke, dachte er.
»Wenn sie verreist wäre, hätte sie’s mir gesagt. Sie gibt mir dann nämlich immer den Schlüssel zu ihrer Wohnung, damit ich die Blumen gießen kann. Sie hat ja ein halbes Gewächshaus da drinnen.«
»Könnte es sein, daß sie diesmal jemand anderen beauftragt hat?«
»So ein Unsinn! Ich habe es immer gemacht, und sie war immer zufrieden. Außerdem sind gar nicht viele Leute zur Zeit hier im Haus. Größtenteils sind das ja Ferienwohnungen. Nein, außer mir wäre keiner in Frage gekommen. «
»Und Sie haben sie sonst regelmäßig gesehen?«
»Man sieht sich einfach in so einem Haus. Man begegnet sich auf dem Weg zum Briefkasten … apropos Briefkasten: Millies scheint mir schon lange nicht mehr
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