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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Grant es klatschend auf der Wasseroberfläche aufsetzen.
    Er grinste und schob sich vorsichtig über die Kante der Klippe. «Das ist unsere Fahrkarte von der Insel.»

    Leutnant Maxim Sergejewitsch Solowjew von der sowjetischen Marineinfanterie beobachtete, wie das Schlauchboot auf den Anlegesteg zuglitt. Die Ruder platschten im Wasser; im hinteren Teil des Bootes konnte er eine hochgewachsene Gestalt erkennen, die in steifer Haltung dasaß, und daneben, weniger aufrecht, einen kleineren, stämmigen Mann. Er schaute nervös zu den umgebenden Klippen hinauf, um sich zu vergewissern, dass seine Männer noch die Umgebung sicherten. Die Anweisungen aus Odessa waren vage gewesen, die Drohungen für den Fall, dass er versagte, hingegen unmissverständlich.
    Das Boot stieß am Steg an, umgeben von den im Wasser treibenden Wrackteilen des amerikanischen Wasserflugzeugs. Der größere Passagier stieg aus. Solowjew schlug die Hacken zusammen und grüßte zackig. «Genosse Oberst.»
    Der Mann erwiderte einen rasiermesserscharfen Gruß. Solowjew versuchte in der Dunkelheit sein Gesicht zu erkennen. Es war hager und von Gewalt gezeichnet; eine weiße Narbe zog sich quer über die Wange, vom Ohr bis zum Kinn, und das rechte Auge bedeckte eine dreieckige Augenklappe. Solowjew fand allerdings, dass das keinen großen Unterschied machte, denn das verbliebene Auge lag so tief in der Höhle, dass es ebenso schwarz und undurchdringlich wirkte.
    Solowjew holte tief Luft. «Genosse Oberst, ich freue mich, Ihnen melden zu können, dass wir den Hafen ohne Zwischenfälle eingenommen haben. Meine Männer haben die Klippen unter Kontrolle und sind jederzeit bereit für den Vorstoß zum Leuchtturm. Wenn der Feind noch auf der Insel ist, hat er sich sicher dort verbarrikadiert.»
    Der Oberst knurrte etwas Unverständliches. Sein Begleiter war inzwischen ebenfalls aus dem Boot gestiegen; Solowjew konnte über die Schulter des Obersts einen flüchtigen Blick auf kurzes blondes Haar und ein grobschlächtiges Gesicht mit ausgeprägtem Kiefer werfen. Der Mann schien keine Uniform zu tragen – allerdings hatte Solowjew bereits die Erfahrung gemacht, dass in Stalins Russland Männer ohne Uniform oft diejenigen waren, die man am meisten fürchten musste.
    «Unterschätzen Sie diese Leute nicht.» Die Stimme des Obersts klang frostig und schroff in der warmen Nacht. «Viele unserer Männer haben für diesen Fehler bereits einen hohen Preis gezahlt.»
    «Und sie haben etwas, das für uns sehr kostbar ist.» Jetzt ergriff der andere Mann zum ersten Mal das Wort. Er sprach schlechtes Russisch mit starkem Akzent. Solowjew überlegte kurz, woher er wohl kam. Vielleicht aus Polen? «Wir müssen sie unbedingt lebend gefangen nehmen.»
    Solowjew beschlich ein mulmiges Gefühl. Er blickte hilfesuchend seinen Oberst an, doch der verzog nur bitter den Mund und sagte knapp: «Sehen Sie sich vor. Genosse Stalin wird höchst enttäuscht sein, wenn Sie versagen.»
    Wie ein Echo seiner schlimmsten Befürchtungen brach in diesem Moment auf den Klippen rechts von ihnen eine Maschinengewehrsalve los. Gleich darauf war auch vom Leuchtturm her Mündungsfeuer zu sehen. Solowjew warf sich bäuchlings auf den Landungssteg, obwohl die Schüsse nicht in seine Richtung zielten. Zu seiner Schande rührte sich der Oberst nicht vom Fleck, sondern sah sich nur mit seinem gesunden Auge suchend um, um festzustellen, woher die Schüsse kamen. Solowjew rappelte sich beschämt wieder auf und wäre am liebsten im Boden versunken, als er zu allem Übel feststellte, dass seine Uniform über und über mit Vogelkot beschmiert war. Oben hallten weitere Schüsse über die Insel – seine Männer, die das Feuer erwiderten. Vielleicht hatten sie den Schützen getroffen, denn die Schüsse vom Turm her hörten so plötzlich auf, wie sie begonnen hatten.
    Der Oberst wandte sich Solowjew zu. Seine schroffen Gesichtszüge schienen dem Leutnant eine Ewigkeit sibirischer Winter zu verheißen. «Schicken Sie das Patrouillenboot zur Westseite, als Feuerschutz. Dann nehmen Sie Ihre Männer und stürmen Sie diesen verdammten Turm.»

    Aus zwanzig Metern Entfernung beobachtete Grant, zusammengekauert am Fuß der Klippe, wie der entgeisterte Leutnant die Stufen hinaufrannte. Der Motor des Patrouillenboots wurde gestartet, und es entfernte sich vom Landesteg. Die Heckwellen spülten kalt um Grants Fußknöchel, doch er achtete nicht darauf. Draußen auf dem Steg warf der Oberst noch einen Blick zum Leuchtturm

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