Der verhängnisvolle Urlaub
»an so eine kommt unsereiner nicht ran; kein Arbeitnehmer, meine ich. Solche Weiber ziehen sich andere Kontoinhaber an Land.«
Karin Fabrici, von der in dieser Weise gesprochen wurde, hatte sich inzwischen auf ihrem Zimmer noch einmal vor den Spiegel gestellt und kaum mehr ihren Augen getraut. Ihr Eindruck war noch enttäuschender als in der Minute, in der die Diplomkosmetikerin von ihr abgelassen hatte. Ein völlig fremder Mensch schaute ihr entgegen, ein Puppengesicht, wie man es so oft in Zeitschriften und Filmprospekten sieht, ein Lärvchen, aufgemacht, seelenlos, mit Löckchen und Kußmündchen, verführerischem Augenaufschlag und erstarrtem Lächeln.
Die ersten Stunden ihres Filmdaseins waren vorbei. Der Uhrzeiger rückte auf halb elf zu. Unten vor dem Portal wartete der schwere Mercedes auf sie.
Sie warf einen Blick in das Programm, das man ihr zu Verfügung gestellt hatte. 10.45 Uhr: Abfahrt zu Probeaufnahmen in einem provisorischen Filmstudio. 12 Uhr: Empfang durch den Produktionsleiter. 13 Uhr: Mittagessen im Kasino. 14.30 Uhr: Siesta. 16.00 Uhr: Tanzteebeginn mit Modenschau des Pariser Salons Sandrou im Kurhaus …
Karin warf das Programm auf den Tisch und wischte sich über die Stirn. Ihr wurde fast schwindlig vor all diesen Verpflichtungen und Ehrungen, und sie wünschte sich spontan weit weg, wollte allein am Strand in ihrem Korb Nr. 45 bei der kleinen, halb verfallenen Sandburg liegen, um zu träumen. Zu träumen von …
Wieder klopfte es an die Tür.
Das wird der Chauffeur sein, dachte Karin und nahm den Seidenmantel vom Haken. Ich versäume mich hier.
»Ja?« rief sie. »Kommen Sie nur herein!«
Sie schlüpfte in ihren Mantel, fand das Ärmelloch nicht und ward so davon abgehalten, zur Tür zu blicken. Jemand betrat den Raum.
»Guten Morgen, gnädiges Fräulein«, sagte eine Stimme, und ein freudiger Schreck durchzuckte Karin Fabrici.
Er!
Er stand in ihrem Zimmer. Er war gekommen, um mit ihr zu sprechen. Ihr Traum bewahrheitete sich.
Vergib dir aber jetzt nichts mehr, ermahnte sie sich selbst. Wirf dich ihm nicht an den Hals. Er soll schon merken, zu Beginn wenigstens, daß hier er derjenige ist, der Buße zu tun hat, und nicht ich.
»Guten Morgen«, sagte sie nicht zu warm und nicht zu kalt; so in der Mitte.
Das Ärmelloch verweigerte sich ihr immer noch. Die Verrenkungen, zu denen sie sich dadurch gezwungen sah, um es zu finden, wirkten komisch. Rasch trat er hinzu und leistete ihr den benötigten Kavaliersdienst. Sie bedankte sich, als sie den Mantel endlich anhatte.
Die Blicke, mit denen er sie musterte, gefielen ihr nicht ganz. Sie hatten einen zweifelnden Charakter.
»Wollen Sie sich nicht setzen?« fragte sie ihn.
»O nein«, erwiderte er. »Ich sehe doch, Sie sind auf dem Sprung. Ich will Sie nicht aufhalten.«
»Aber Ihr Besuch hat doch irgendeinen Zweck?«
Das klang nicht besonders gut. Karin wußte dies auch im selben Augenblick, in dem sie es gesagt hatte, und sie hätte es deshalb gerne gelöscht, wie auf einem Tonband. Leider ging das nicht.
»Ich wollte Sie beglückwünschen«, erwiderte er, doch sein Gesicht strafte ihn dabei Lügen.
»Zu was?«
»Zu Ihrer gestrigen Wahl.«
»Danke.«
Eine Pause trat ein, in der jeder spürte, daß dieses Gespräch nicht gut lief, und das machte Karin nervös.
»Was sehen Sie mich so an?« fragte sie.
»Verzeihen Sie. Sind Ihnen meine Blicke unangenehm?«
»Nein, das nicht, aber …«
»Ich versuche Sie so anzusehen wie immer.«
»Sie versuchen es?«
»Ja.«
»Aber es gelingt Ihnen nicht?«
Er zögerte, erwiderte jedoch dann: »Offengestanden nein.«
»Warum nicht?«
»Weil Sie sich ziemlich verändert haben. Damit muß ich erst fertig werden.«
»Fertig werden? Das klingt nicht gerade danach, daß Sie begeistert wären?«
Er schwieg.
»Keine Antwort ist auch eine Antwort«, sagte sie daraufhin und setzte hinzu: »Meine ›Veränderung‹, wie Sie es nennen, gefällt Ihnen also nicht?«
»Ganz und gar nicht«, zögerte er nun nicht mehr zu antworten.
»Aber mir«, behauptete Karin, in der sich der alte Widerspruchsgeist regte.
»So?« Er zog die Mundwinkel nach unten. »Und ich hoffte, Sie seien für diese Kleckserei nicht verantwortlich.«
»Kleckserei?«
»Man habe Sie dazu vergewaltigt, dachte ich.«
»Kleckserei?« wiederholte sie.
»Sehen Sie sich doch an im Spiegel.«
»Das habe ich schon getan.«
»Und? Hatten Sie nicht den Eindruck, daß Sie mit dem Gesicht in einen Farbenkübel gefallen
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